§ 102Hinweis- und Warnpflichten

Bei der Erstellung eines Jahresabschlusses für einen Mandanten haben Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte den Mandanten auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes nach den §§ 17 bis 19 der Insolvenzordnung und die sich daran anknüpfenden Pflichten der Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist.


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Mit § 102 werden Hinweis- und Warnpflichten als Instrument zur Früherkennung der Bestandsgefährdung eines Unternehmens gesetzlich klargestellt. Die Vorschrift greift die im Urteil des BGH vom 26. Januar 2017 (BGH, NZG 2017, S. 468) formulierten und in der Praxis viel beachteten Leitsätze auf, nach denen für Steuerberater im Rahmen der Erstellung von Jahresabschlüssen eine Prüfungspflicht und gegebenenfalls Hinweis- und Warnpflichten bezüglich der Fortführungsfähigkeit des Unternehmens bestehen. Mit der Entscheidung gab der BGH seine bisherige Rechtsprechung (BGH, DStRE 2013, 1081, „Keine Pflicht zum Hinweis auf Veranlassung einer Insolvenzprüfung im steuerlichen Dauermandat) in Teilen ausdrücklich auf und verschärfte die Haftungsrisiken für Steuerberater (kritisch dazu: Mader/Seitz, DStR 2018, S. 1933 ff.).

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Während für Wirtschaftsprüfer Hinweis- und Warnpflichten im Rahmen der Durchführung von Jahresabschlussprüfungen bereits in § 321 Absatz 1 Satz 2 und 3 HGB gesetzlich verankert waren (sogenannte Redepflichten), fehlte bislang eine entsprechende Vorschrift für die Erstellung von Jahresabschlüssen. Gleichwohl waren auch schon bisher sowohl im IDW Standard: Grundsätze für die Erstellung von Jahresabschlüssen IDW S 7 (Rn. 78, FN-IDW 12/2009, S. 623 ff.) als auch in den „Hinweisen zur Verlautbarung der Bundessteuerberaterkammer zu den Grundsätzen für die Erstellung von Jahresabschlüssen“ (vgl. Hinweise der Bundessteuerberaterkammer vom 13./14. März 2018) berufsständische Regelungen zu Hinweis- und Warnpflichten enthalten. 

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Die Hinweis- und Warnpflichten werden nun durch § 102 berufsstandsübergreifend auch für andere Berufsgruppen erweitert, die gemäß § 3 Nr. 1 StBerG Jahresabschlüsse erstellen dürfen (vgl. Regierungsentwurf SanInsFoG, S. 186).

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Bei der Erstellung eines Jahresabschlusses und der Bewertung der ausgewiesenen Vermögensgenstände und Schulden ist gemäß § 252 Abs. 2 S. 1 HGB von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen. Von diesen Grundsätzen darf gemäß § 252 Abs. 2 HGB nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden. In § 264 Abs. 2 S. 1 HGB wird zudem näher bestimmt, dass der Jahresabschluss unter Beachtung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft zu vermitteln hat.

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Auch wenn die Bilanz inhaltlich zutreffend aufgestellt wurde, bestehen Hinweis- und Warnpflichten, da es auch zu den vertraglichen Nebenpflichten des Abschlusserstellers zählt, den Mandanten vor Schaden zu bewahren und auf Fehlentscheidungen, die für ihn offen zutage liegen, hinzuweisen (vgl. Baumbach/Hueck/Haas, § 64 Rn. 247b). 

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Die Hinweis- und Warnpflichten werden nicht durch jeden vorliegenden Anhaltspunkt für eine Bestandsgefährdung begründet. Die Anhaltspunkte müssen vielmehr offenkundig sein, um die entsprechenden Pflichten auszulösen. Sie rücken damit in die Nähe der bestandsgefährdenden Tatsachen, an die § 321 Absatz 1 Satz 2 und 3 HGB die korrespondierenden Redepflichten des Abschlussprüfers bei der Prüfung von Jahresabschlüssen knüpft.

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Die Hinweispflicht besteht insbesondere dann, wenn ein Insolvenzgrund i.S.d. §§ 17 bis 19 InsO für den Abschlussersteller bei ordnungsgemäßer Bearbeitung erkennbar ist oder ernsthafte Anhaltspunkte für einen möglichen Insolvenzgrund offenkundig sind. Solche offenkundigen Anhaltspunkte können etwa dann bestehen, wenn die Jahresabschlüsse der Gesellschaft in aufeinanderfolgenden Jahren wiederholt nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge aufweisen oder die handelsbilanziell überschuldete Gesellschaft über keine stillen Reserven verfügt (vgl. Baumbach/Hueck/Haas, § 64 Rn. 247b; BGH, NZG 2017, S. 473, Rn. 45). 

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Weitere Ereignisse oder Gegebenheiten, die bedeutsame Zweifel an der Fähigkeit zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit aufwerfen können, sind beispielsweise in den Anwendungshinweisen zum IDW PS 270 n.F. (IDW Life 8/2018, S. 752 ff.) aufgeführt und betreffen u.a. folgende Indikatoren:

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Finanzwirtschaftliche Gegebenheiten

  • Darlehensverbindlichkeiten mit fester Laufzeit, die fällig werden ohne dass eine realistische Aussicht auf Verlängerung oder auf Rückzahlung besteht
  • Anzeichen für den Entzug finanzieller Unterstützung durch Gläubiger
  • Vergangenheits- oder zukunftsorientierte Finanzaufstellungen deuten auf negative betriebliche Cashflows hin
  • Unfähigkeit, Verbindlichkeiten bei ihrer Fälligkeit zu begleichen
  • Unfähigkeit, die Bedingungen von Darlehensvereinbarungen zu erfüllen
  • Weigerung von Lieferanten, weiterhin ein Zahlungsziel einzuräumen
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Betriebliche Gegebenheiten

  • Verlust von wichtigen Absatz- oder Beschaffungsmärkten, bedeutenden Kunden oder Lieferanten sowie Kündigung von wichtigen Franchise- oder Lizenzverträgen
  • Anhängige Gerichts- oder Aufsichtsverfahren gegen das Unternehmen, die zu Ansprüchen führen können, die wahrscheinlich nicht erfüllbar sind
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Bei der Frage, ob eine Hinweis- und Warnpflicht besteht, sind die für den zu erstellenden Jahresabschluss zur Verfügung gestellten Informationen sowie die etwa aus einem Dauermandat bekannten Umstände maßgeblich. Berücksichtigt werden muss hierbei, dass sich aus den typischerweise für eine Erstellung zur Verfügung gestellten Unterlagen nur eingeschränkt Aussagen über die Zahlungsfähigkeit ableiten lassen. Insbesondere vor dem Hintergrund des 24-monatigen Prognosehorizonts für drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) erfordert dies vom Ersteller eine stärkere Beschäftigung mit der Unternehmensplanung bei Mandanten, deren Unternehmensfortführung gefährdet sein könnte. 

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Der Abschlussersteller ist jedoch nicht zu weitergehenden Überprüfungen verpflichtet. Insbesondere ist keine Überschuldungsprüfung vorzunehmen. Diese gehört zu den originären Aufgaben des Geschäftsführers, der die Zahlungsfähigkeit und das Vorliegen einer etwaigen insolvenzrechtlichen Überschuldung überwachen muss (vgl. BGH, NZG 2017, S. 474, Rn. 47). 

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Die Hinweis- und Warnpflichten setzen voraus, dass der Abschlussersteller Grund zur Annahme hat, dass dem Auftraggeber die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist. Entscheidend ist, ob der Mandant über das konkrete tatsächliche und rechtliche Wissen verfügt. Hierzu kann es genügen, wenn der Geschäftsführer erklärt, das Problem der bilanziellen Überschuldung sei bekannt. An der in früheren Entscheidungen des BGH vertretenen Auffassung, dass die Unterbilanz für den Geschäftsführer ohne weiteres ersichtlich sei und deshalb keine Hinweispflichten des Steuerberaters auf einen möglichen Insolvenzgrund bestünden (z. B. BGH, GmbHR 2013, S. 543), wird jedoch höchstrichterlich nicht mehr festgehalten (vgl. Römermann, GmbHR 2017, S. 348, 356).

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Der mit der Abschlusserstellung beauftragte Berufsträger ist verpflichtet, den Mandanten über rechtliche oder tatsächliche Gegebenheiten zu unterrichten, die der Fortführung der Unternehmenstätigkeit im Sinne des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB entgegenstehen können. 

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Inhaltlich muss der Hinweis die Umstände, die auf einen Insolvenzgrund hinweisen, im Einzelnen „klar und deutlich“ bezeichnen und konkret darauf hinweisen, dass diese Umstände Anlass zu einer Prüfung einer möglichen Insolvenzreife geben. Ein allgemeiner Hinweis auf die Prüfungspflichten eines Geschäftsführers ist nicht ausreichend. Neben den konkreten Umständen sind auch Hinweise zur Antragspflicht (§ 15a InsO), zu Zahlungsverboten (§15b InsO) und zu strafrechtlichen Folgen zu geben.

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Zeitlich hat der Hinweis zu erfolgen, bevor die Bescheinigung über die Erstellung des Jahresabschlusses vom Berufsträger unterzeichnet wird. Werden die Hinweise auf einen möglichen Insolvenzgrund vorher bekannt, ist ein früherer Hinweis erforderlich (vgl. Onusseit/Schröder, ZInsO 2017, S.1868, 1872). Im Erstellungsbericht sind in jedem Fall Tatsachen oder Risiken, die der Annahme der Unternehmensfortführung entgegenstehen oder die Entwicklung des Unternehmens wesentlich beeinträchtigen können, gesondert darzustellen.

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Die Hinweispflicht an den Mandaten besteht unabhängig davon, ob es sich um einen Erstellungsauftrag ohne Beurteilungen, mit einer Plausibilitätsbeurteilung oder umfassenden Beurteilungen handelt. Um möglichen Haftungsrisiken entgegenzutreten, sollten die Tätigkeiten im Rahmen der Erstellung des Jahresabschlusses und die erteilten Hinweise ausführlich in den Arbeitspapieren des Abschlusserstellers dokumentiert werden. 

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Zu beachten ist ferner, dass die Aufstellung eines Jahresabschlusses in Krisensituationen zeitnah und ohne schuldhaftes Zögern zu erfolgen hat, um die Interessen der Gläubiger und Gesellschafter zu wahren. Ein Zeitraum von zwei bis drei Monaten nach dem Bilanzstichtag kommt hierbei in Betracht (vgl. Beck Bil-Komm/Schmidt/Usinger, § 243 Rn. 93). Die Aufstellungsfristen gemäß §§ 243 Abs. 3, 264 Abs. 1 HGB sind in diesem Fall unbeachtlich. Bei der Planung der Auftragsdurchführung sollten die zeitlichen Anforderungen daher entsprechend Berücksichtigung finden.

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Gleichwohl kann auch bei beschleunigter Abschlusserstellung eine mögliche (drohende) Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft zum Bilanzstichtag erst mit Verzögerung durch den Berufsträger festgestellt werden. Vor diesem Hintergrund erscheint die Einführung von § 102 als Instrument zur Früherkennung einer Unternehmenskrise nicht in jeder Hinsicht zielführend. So beschreibt etwa die Bundessteuerberaterkammer in ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf die Erstellung von Jahresabschlüssen als Gegenstand eines „Spätwarnsystems“ (vgl. Stellungnahme der Bundessteuerberaterkammer zum SanInsFoG, S. 8).

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Unabhängig von der Abschlusserstellung dürfte jedoch auch die unterjährige Hinweis- und Warnpflicht weiter Bestand haben, wenn etwa der Steuerberater an der Buchführung mitwirkt. Erkennt der Steuerberater dabei Krisenwarnsignale, muss er seinen Mandanten auf diese hinweisen und ferner darauf, dass die Geschäftsführung die Verpflichtung hat, insolvenzrechtliche Tatbestände zu prüfen (vgl. Arens, GWR 2021, S. 64, 66; a.A. Onusseit/Schröder, ZInsO 2017, S.1868, 1872f). Hatte der BGH in früheren Entscheidungen festgestellt, dass es nicht die Aufgabe des Steuerberaters sei, die Gesellschaft auf eine mögliche Insolvenzreife hinzuweisen, hält der BGH an dieser Rechtsprechung nicht mehr uneingeschränkt fest (vgl. Baumbach/Hueck/Haas, § 64 Rn. 247). So geht auch die Bundessteuerberaterkammer davon aus, dass der Steuerberater auch außerhalb eines Auftrags zur Erstellung des Jahresabschlusses eine Hinweis- und Warnpflicht gegenüber dem Mandanten hat (vgl. Hinweise der Bundessteuerberaterkammer vom 13./14. März 2018, Rn. 97)

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Für Wirtschaftsprüfer löst die Abschlussprüfung keine Verpflichtungen nach § 102 StaRUG aus. Allerdings strahlt die BGH-Rechtsprechung zu Hinweis- und Warnpflichten auch auf die Abschlussprüfung aus. So hat beispielsweise das OLG Düsseldorf (DStR 2019, S. 2103) entschieden, dass die Anforderungen an Steuerberater erst recht auch für Abschlussprüfer gelten. 

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Bei Nichterfüllung der Hinweis- und Warnpflichten kommt eine Haftung aus §§ 280 Abs. 1, 675 Abs. 1 BGB für einen Insolvenzverschleppungsschaden in Betracht. Das für die Schadensersatzhaftung erforderliche Verschulden wird vermutet (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB, vgl. BGH, NZG 2017, S. 473, Rn. 41, 43). Haftungsrisiken für die Berufsträger könnten sich auch ergeben, wenn Ansprüche aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter geltend gemacht werden. Insbesondere ist hier die persönliche Inanspruchnahme der Gesellschaftsorgane aus der Haftung wegen verbotener Auszahlungen (etwa aus § 64 GmbHG) zu nennen (vgl. Pape, NZI 2019, S. 260, 265).

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