§ 89Rechtshandlungen, die während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache vorgenommen werden

(1) Die Annahme eines sittenwidrigen Beitrags zur Insolvenzverschleppung oder einer Rechtshandlung, die mit dem Vorsatz einer Benachteiligung der Gläubiger vorgenommen wurde, kann nicht allein darauf gestützt werden, dass ein an der Rechtshandlung Beteiligter Kenntnis davon hatte, dass die Restrukturierungssache rechtshängig war oder dass der Schuldner Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Anspruch nahm.

(2) Hebt das Gericht nach einer Anzeige der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung die Restrukturierungssache nicht nach § 33 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 auf, so gilt Absatz 1 auch für die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung.

(3) Hat der Schuldner eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nach § 32 Absatz 3 angezeigt, so gilt bis zur Aufhebung der Restrukturierungssache nach § 33 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 jede Zahlung im ordnungsgemäßen Geschäftsgang, insbesondere Zahlungen, die für die Fortführung der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit und die Vorbereitung und Umsetzung des angezeigten Restrukturierungsvorhabens erforderlich sind, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar. Das gilt nicht für Zahlungen, die bis zu der absehbar zu erwartenden Entscheidung des Restrukturierungsgerichts zurückgehalten werden können, ohne dass damit Nachteile für eine Fortsetzung des Restrukturierungsvorhabens verbunden sind.


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§ 89 regelt in Umsetzung des Art. 17 und 18 der Richtlinie (EU) 2019/1023 die Auswirkung einer Restrukturierungssache auf die insolvenzrechtliche Anfechtung (§§ 129 ff. InsO), auf die Insolvenzverschleppung sowie auf die Haftung von Geschäftsleitern wegen Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife. Diese Regelung soll einerseits verhindern, dass die Geschäftspartner des Schuldners nach Inanspruchnahme von Restrukturierungsinstrumenten ihre Geschäftsbeziehung überdenken, um etwaige Anfechtungs- und Haftungsrisiken zu vermeiden, die sich im Falle eines späteren Insolvenzverfahrens ergeben könnten (BT-Drucks. 19/24181, S. 181). Zu diesem Zweck reicht nach Abs. 1 und 2 die bloße Kenntnis einer Restrukturierungssache oder unter Umständen sogar der Insolvenzreife, nicht aus, um einen sittenwidrigen Beitrag zur Insolvenzverschleppung oder eine mit Gläubigerbenachteiligungsabsicht vorgenommene Rechtshandlung anzunehmen. Hierdurch soll Rechtssicherheit für neue Finanzierungen und Zwischenfinanzierungen sichergestellt werden.

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Andererseits normiert Abs. 3 eine Ausnahme zur Haftung der Geschäftsleiter für Zahlungen bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung, wenn das Gericht trotz Insolvenzreife von einer Aufhebung der Restrukturierungssache gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 (zunächst) absieht (siehe § 33 Rn. 27 f.).

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Nach § 89 Abs. 1 kann die Annahme eines sittenwidrigen Beitrags zur Insolvenzverschleppung oder einer Rechtshandlung, die mit Gläubigerbenachteiligungsabsicht vorgenommen wurde, nicht allein auf die Kenntnis der Rechtshängigkeit einer Restrukturierungssache oder der Inanspruchnahme von Restrukturierungsinstrumenten gestützt werden.

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Diese Regelung betrifft zwei unterschiedliche Fallkonstellationen, die zu einer Haftung der Gläubiger führen können.

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Zum einen handelt es sich um die Haftung wegen Leistung eines sittenwidrigen Beitrags zur Insolvenzverschleppung, §§ 138, 826 BGB (siehe hierzu bereits die Regelung in § 2 Abs. 1 Nr. 3 COVInsAG). Eine solche Haftung kann häufig die Hausbank eines Schuldners betreffen, welcher vorgeworfen wird, die Stellung eines Insolvenzantrags gezielt hinausgezögert zu haben, um in der so gewonnenen Zeit die von ihr ausgereichten Kredite zurückzuführen oder neue Sicherheiten für alte Kredite zu erlangen (MüKo-BGB/Wagner, § 826 Rn. 173). Nach der BGH-Rechtsprechung liegt eine Insolvenzverschleppung dann vor, wenn ein Kreditgeber um eigener Vorteile willen die letztlich unvermeidliche Insolvenz eines Unternehmens nur hinausschiebt, indem er Kredite gewährt, die nicht zur Sanierung, sondern nur dazu ausreichen, den Zusammenbruch zu verzögern, wenn hierdurch andere Gläubiger über die Kreditfähigkeit des Unternehmens getäuscht und geschädigt werden sowie der Kreditgeber sich dieser Erkenntnis mindestens leichtfertig verschließt (siehe BGH, NJW 2016, S. 2662).

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Um die Haftungsrisiken der Gläubiger auszuschließen und ihre Unterstützung des Restrukturierungsvorhabens sicherzustellen, sieht § 89 Abs. 1 vor, dass eine solche Haftung wegen Sittenverstoßes nicht allein durch die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens durch den Schuldner zu begründen ist.

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Die zweite betroffene Konstellation ist die Anfechtung nach §§ 129, 133 InsO. Hiernach ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Dieser Anfechtungstatbestand erfordert somit in subjektiver Hinsicht sowohl die Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners als auch die Kenntnis des Gläubigers von dieser Gläubigerbenachteiligungsabsicht. Beide Merkmale sind dem Beweis nur schwer zugänglich. Daher sieht § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO vor, dass die Kenntnis vermutet wird, wenn der Gläubiger Kenntnis von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und der Gläubigerbenachteiligung hatte, wobei die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit nur bei inkongruenten Deckungshandlungen ausreicht. Bei kongruenten Handlungen ist hingegen nach § 133 Abs. 3 Satz 1 InsO die eingetretene Zahlungsunfähigkeit erforderlich. Die Kenntnis der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit indiziert wiederum die Kenntnis der Gläubigerbenachteiligung, wenn der Gläubiger nicht davon ausgehen konnte, alleiniger Gläubiger des Schuldners zu sein (Uhlenbruck/Borries/Hirte, § 133 Rn. 77).

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In Anwendung dieser Vermutungsregel hätten die beteiligten Gläubiger bei einer Restrukturierungssache, die ja eine drohende Zahlungsunfähigkeit voraussetzt, Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit und mithin der Gläubigerbenachteiligungsabsicht, und wären dadurch einer verschärften Anfechtungsgefahr ausgesetzt.

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Vor diesem Hintergrund ist die Regelung des Abs. 1 so zu verstehen, dass die Kenntnis der Gläubigerbenachteiligungsabsicht nur dann bewiesen werden kann, wenn weitere Beweisanzeichen vorliegen.

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Neben § 133 InsO ist die Kenntnis der Gläubigerbenachteiligungsabsicht auch in § 3 AnfG Tatbestandsmerkmal, sodass § 89 Abs. 1 auch dort zu berücksichtigen ist.

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§ 89 Abs. 2 erweitert die haftungsausschließende Regelung des Abs. 1 auf den Fall, dass das Gericht trotz Eintritts der Insolvenzreife nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 von einer Aufhebung der Restrukturierungssache absieht (siehe § 33 Rn. 27 f.). Dies ist möglich, wenn

  • die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit Blick auf den erreichten Stand in der Restrukturierungssache offensichtlich nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen würde, oder wenn
  • die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung aus der Kündigung oder sonstigen Fälligstellung einer Forderung resultiert, die nach dem angezeigten Restrukturierungskonzept einer Gestaltung durch den Plan unterworfen werden soll, sofern die Erreichung des Restrukturierungsziels überwiegend wahrscheinlich ist.
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Auch in dieser Situation könnte die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung zu einer Haftung wegen sittenwidrigen Beitrags zur Insolvenzverschleppung oder zu einer Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung führen. Um dies zu vermeiden, gilt das Verbot nach Abs. 1, die Haftungs- und Anfechtungstatbestände alleine auf diese Kenntnis der Restrukturierungssache zu stützen, auch für die Kenntnis der Insolvenzreife. Es wäre sonst widersprüchlich, Geschäftspartner des Schuldners allein deshalb einem erhöhten Haftungs- oder Anfechtungsrisiko auszusetzen, weil sie Kenntnis von einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung hatten, obwohl das Restrukturierungsgericht nach Prüfung zu dem Ergebnis gekommen ist, dass eine Beendigung der Restrukturierungssache gerade nicht im Interesse der Gläubigergesamtheit lag (BT-Drucks. 19/24181, S. 182).

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Nach dem neu eingeführten § 15b Abs. 1 InsO dürfen Geschäftsleiter nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung keine Zahlungen mehr vornehmen, es denn, die Zahlungen sind mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar.

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Diese Haftung wird durch einen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen, der ja nur bei drohender Zahlungsunfähigkeit zur Verfügung steht, grundsätzlich nicht tangiert. Tritt im Laufe der Restrukturierungssache Insolvenzreife ein, hebt das Gericht diese auf, um den Vorrang des Insolvenzverfahrens sicherzustellen.

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Hiervon sieht jedoch § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 eine Ausnahme vor. Von einer Aufhebung der Restrukturierungssache kann das Gericht absehen, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit Blick auf den erreichten Stand in der Restrukturierungssache offensichtlich nicht im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegen würde. Gemeint laut Gesetzesbegründung ist der Fall, dass die unmittelbar bevorstehende Bestätigung eines bereits angenommenen Plans zur Beseitigung der eingetretenen Insolvenzlage führen würde (BT-Drucks. 19/24181, S. 139).

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In diesem Fall wäre es nicht sachgerecht, die Geschäftsleiter zur Umstellung auf die Notgeschäftsführung zu zwingen, weil diese die Sanierung gefährden und damit den Zwecken des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 zuwiderlaufen könnte. § 89 Abs. 3 sieht daher vor, dass bis zur Aufhebung der Restrukturierungssache jede Zahlung im ordnungsgemäßen Geschäftsgang, insbesondere Zahlungen, die für die Fortführung der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit und die Vorbereitung und Umsetzung des angezeigten Restrukturierungsvorhabens erforderlich sind, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar sind. In diesem Fall entfällt somit eine Haftung nach § 15b InsO, da die betroffenen Zahlungen soweit privilegiert sind.

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Das Gesetz schränkt jedoch den Anwendungsbereich dieser Privilegierung ein: § 89 Abs. 3 Satz 2 stellt klar, dass der Zeitraum bis zur erwarteten gerichtlichen Entscheidung nicht genutzt werden darf, um Zahlungen vorzunehmen, die bis zur Entscheidung ohne Nachteile aufgeschoben werden können. Dies folgt bereits aus der Pflicht zur Wahrung des Gesamtgläubigerinteresses (BT-Drucks. 19/24181, S. 182). Welche Zahlungen aufschiebbar sind, lässt sich dabei nicht allgemein feststellen. Vielmehr ist eine einzelfallbezogene Beurteilung – mit den damit verbundenen Unwägbarkeiten – unerlässlich. 

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