(1) In Verfahren über Restrukturierungssachen erfolgen öffentliche Bekanntmachungen nur, wenn der Schuldner dies beantragt. Der Antrag ist vor der ersten Entscheidung in der Restrukturierungssache zu stellen und kann nur bis zur ersten Entscheidung zurückgenommen werden. Auf den Antrag findet Artikel 102c § 5 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung entsprechende Anwendung.

(2) Hat der Schuldner beantragt, dass in den Verfahren in der Restrukturierungssache öffentliche Bekanntmachungen erfolgen sollen, sind in der ersten Entscheidung, die in der Restrukturierungssache ergeht, anzugeben:

  1. die Gründe, auf denen die internationale Zuständigkeit des Gerichts beruht, sowie 
  2. ob die Zuständigkeit auf Artikel 3 Absatz 1 oder Absatz 2 der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (ABl. L 141 vom 5.6.2015, S. 19; L 349 vom 21.12.2016, S. 6) in der jeweils geltenden Fassung beruht.

Öffentlich bekannt zu machen sind die in Artikel 24 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2015/848 genannten Angaben. Artikel 102c § 4 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung ist entsprechend anzuwenden.


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Die §§ 84 ff. werden erst zum 17.07.2022 in Kraft treten und regeln die öffentliche Durchführung von Restrukturierungssachen. Dies steht auf den ersten Blick im Widerspruch zu dem Ziel des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens, vertrauliche Verhandlungen mit den beteiligten Gläubigern durchführen zu können, ohne die rufschädigenden Folgen eines formellen Gerichtsverfahrens zu erleiden.

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Dieser vertrauliche Verhandlungsrahmen unter Ausschluss der Öffentlichkeit hat jedoch den Nachteil, bei Restrukturierungssachen mit Auslandsbezug die Anwendbarkeit der EuInsVO auszuschließen. Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO ist diese Verordnung nur für öffentliche Gesamtverfahren anwendbar, was bereits den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ausschließt. Ferner sieht Satz 2 vor, dass die EuInsVO nur auf diejenigen Verfahren Anwendung findet, die in ihrem Anhang A aufgeführt sind. Dies ist bislang für den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen auch nicht der Fall, was das verzögerte Inkrafttreten der §§ 84-88 erklärt.

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Dies hat zur Folge, dass bei grenzüberschreitenden Restrukturierungssachen die Vorteile der EuInsVO, insbesondere hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung, nicht genutzt werden können.

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Die Heranziehung der EuInsVO zur Regelung von internationalen Restrukturierungsvorhaben mag dabei auf den ersten Blick befremdlich erscheinen. Denn die EuInsVO ist auf Insolvenzverfahren anwendbar, während ja der präventive Restrukturierungsrahmen gerade kein Insolvenzverfahren darstellt, sondern eine Insolvenz abwenden soll. Trotz dieses scheinbaren Paradoxons ergibt sich aus dem „Gesetzgebungsverfahren“, dass die Anwendbarkeit der EuInsVO seitens des europäischen Gesetzgebers angedacht und sogar gewünscht wurde.

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In ihrer ursprünglichen Fassung galt die EuInsVO nur für Gesamtverfahren, welche die Insolvenz des Schuldners voraussetzen und den vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner sowie die Bestellung eines Verwalters zur Folge haben. Dieser sachliche Anwendungsbereich wurde im Rahmen der Reform der EuInsVO im Jahr 2015 erheblich erweitert. Gemäß Erwägungsgrund 10 der EuInsVO sollten in den Anwendungsbereich dieser Verordnung Verfahren einbezogen werden, welche die Rettung wirtschaftlich bestandsfähiger Unternehmen, die sich jedoch in finanziellen Schwierigkeiten befinden, begünstigen und Unternehmern eine zweite Chance bieten. Einbezogen werden sollten vor allem Verfahren, die auf eine Sanierung des Schuldners in einer Situation gerichtet sind, in der lediglich die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz besteht, und Verfahren, bei denen der Schuldner ganz oder teilweise die Kontrolle über seine Vermögenswerte und Geschäfte behält.

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Diese Erweiterung wurde in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 lit. c) EuInsVO konkretisiert, nach welchem die Verordnung explizit auf Verfahren Anwendung finden kann, in welchem die vorübergehende Aussetzung von Einzelvollstreckungsverfahren von einem Gericht oder kraft Gesetzes gewährt wird, um Verhandlungen zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern zu ermöglichen. Ein solches Verfahren kann nach Art. 1 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO eingeleitet werden, wenn lediglich die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz besteht. Tatbestandlich würde also der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen, bis auf die fehlende Öffentlichkeit, hierunter fallen.

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Um die Anwendbarkeit der EuInsVO zu ermöglichen, sieht daher § 84 die Möglichkeit öffentlicher Bekanntmachungen auf Antrag des Schuldners vor. Bei ihrer Umsetzung der Richtlinie haben die Niederlande einen anderen Ansatz verfolgt und zwei verschiedene Verfahrensarten eingeführt. Der deutsche Gesetzgeber hat sich hingegen für einen einzigen Stabilisierungsrahmen mit einer öffentlichen Variante entschieden.

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Nach § 84 Abs. 1 Satz 1 erfolgen bei Restrukturierungssachen öffentliche Bekanntmachungen nur, wenn der Schuldner dies beantragt. Hierdurch wird abermals die Verfahrensherrschaft des Schuldners zum Ausdruck gebracht. Der Antrag muss nach Abs. 1 Satz 2 vor der ersten gerichtlichen Entscheidung gestellt werden, und kann nur bis zu dieser Entscheidung zurückgenommen werden. In der Praxis wird der Antrag mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens nach § 31 erfolgen und setzt, aufgrund der Endgültigkeit der Entscheidung, eine wohl überlegte Planung voraus (Braun-StaRUG/Tashiro, § 84 Rn. 11).

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Hinsichtlich des Antragsinhalts verweist § 84 Abs. 1 Satz 3 auf die entsprechende Anwendung des Art. 102c § 5 EGInsO. Demnach soll der Antrag folgende Angaben enthalten:

  • seit wann der Sitz, die Hauptniederlassung oder der gewöhnliche Aufenthalt an dem im Antrag genannten Ort besteht,
  • Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen in der Bundesrepublik Deutschland nachgeht,
  • in welchen anderen Mitgliedstaaten sich Gläubiger oder wesentliche Teile des Vermögens befinden oder wesentliche Teile der Tätigkeit ausgeübt werden und
  • ob bereits in einem anderen Mitgliedstaat ein Eröffnungsantrag gestellt oder ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wurde.
10

Diese Angaben erlauben es dem angerufenen Restrukturierungsgericht, die internationale Zuständigkeit zu prüfen (BT-Drucks. 19/24181, Rn. 179).

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Hat der Schuldner öffentliche Bekanntmachungen beantragt, so sind nach § 84 Abs. 2 Satz 1 in der ersten Entscheidung in der Restrukturierungssache folgende Angaben zu machen:

  • die Gründe, auf denen die internationale Zuständigkeit des Gerichts beruht, sowie
  • ob die Zuständigkeit auf Artikel 3 Absatz 1 oder Absatz 2 EuInsVO beruht.
12

Grund hierfür ist, dass diese erste Entscheidung als Eröffnungsentscheidung im Sinne des Art. 2 Nr. 7 EuInsVO gilt und daher nach Art. 4 Abs. 1 die Gründe anzugeben hat, auf denen die Zuständigkeit des Gerichts beruht und ob es sich um ein Haupt- oder Sekundärinsolvenzverfahren handelt.

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Auch anzugeben sind nach Satz 2 die in Art. 24 Abs. 2 EuInsVO genannten Pflichtinformationen, die in das Insolvenzregister einzutragen sind. Ergänzt werden diese Pflichtinformationen durch die Angaben, die gemäß § 85 Abs. 1 ebenfalls bekannt zu machen sind (hierzu § 85 Rn. 2).

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Gegen die erste Entscheidung in der Restrukturierungssache steht nach § 84 Abs. 2 Satz 3  in Verbindung mit Art. 102c § 5 EGInsO dem Schuldner und jedem Gläubiger die sofortige Beschwerde zu, wenn das Fehlen der internationalen Zuständigkeit gerügt werden soll.

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Sollte der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen im Anhang A der EuInsVO aufgenommen werden und der Schuldner öffentliche Bekanntmachungen beantragen, so würden sich die grenzüberschreitenden Auswirkungen nach der EuInsVO richten.

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Dies betrifft zunächst die Anerkennung der Eröffnungsentscheidung, die nach Art. 19 EuInsVO automatisch, ohne Vorabkontrolle in allen anderen Mitgliedstaaten erfolgt. Eine solche Wirkung wäre insbesondere im Falle einer Stabilisierungsanordnung bei gleichzeitigem Vermögen im EU-Ausland von großer Bedeutung. Bei einer Planbestätigung mit ausländischen Gläubigern und gruppenübergreifender Mehrheitsentscheidung nach § 26 kann die automatische Anerkennung sinnvoll sein.

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Auch hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit (Art. 3 EuInsVO) und des anwendbaren Rechts (Art. 7 EuInsVO) würde dies mit einer erheblichen Vereinfachung der Restrukturierungsabwicklung einhergehen.