§ 92Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz

Die Verpflichtungen des Schuldners gegenüber den Arbeitnehmervertretungsorganen und deren Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz bleiben von diesem Gesetz unberührt.


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§ 92 setzt die europarechtlichen Vorgaben zu den Informations- und Beteiligungsrechten der Arbeitnehmervertretungen in deutsches Recht um. Art. 13 der Richtline 2019/1023/EG bestimmt, dass europäische und nationale Arbeitnehmerrechte durch das präventive Restrukturierungsverfahren nicht eigeschränkt werden dürfen. Die RiLi stellt sicher, dass die individual-arbeitsrechtlichen und kollektiv-arbeitsrechtlichen Rechte der Arbeitnehmerinnen auch im präventiven Restrukturierungsrahmen vollständig und umfassend gewahrt werden. In Folge der Umsetzung dieser Vorgaben in das deutsche Recht, statuiert § 92 folglich die Aufrechterhaltung sämtlicher betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte nach dem BetrVG. Bestimmte Privilegierungen, wie diese im Rahmen des eröffneten Insolvenzverfahrens nach der InsO gelten, finden demnach im präventiven Restrukturierungsrahmen nach dem StaRUG keine Anwendung (Göpfert/Giese, NZI-Beil. 2021, S. 55, 55). Die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte bestehen unabhängig von der Form der rechtlichen Umsetzung der beteiligungspflichtigen Sachverhalte (Begr. zu § 99 (jetzt § 92), RegE SanInsFoG, 215).

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Nach der Vorschrift bleiben die Verpflichtungen des Schuldners gegenüber den Arbeitnehmervertretungsorganen und deren Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz unberührt. Der Begriff der Arbeitnehmervertretungen wird im Gesetzt nicht weiter definiert. In der Regierungsbegründung werden der Betriebsrat gem. § 1 BetrVG und der Wirtschaftsausschuss gem. § 106 Abs. 1 S. 1 BetrVG explizit genannt, der in Betrieben mit in der Regel mehr als einhundert ständig beschäftigten Arbeitnehmerinnen zu bilden ist. Daneben wird auch auf Arbeitnehmervertretungsgremien im Allgemeinen verwiesen (Begr. zu § 99 (jetzt § 92), RegE SanInsFoG, 215). Unproblematisch sind damit auch der Konzernbetriebsrat nach § 54 BetrVG oder etwaige von diesen Vorgaben abweichende betriebsverfassungsrechtliche Organe gem. § 3 BetrVG von der Norm erfasst (Morgen-Röger, PräV, § 92 Rn. 4).

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Unklar ist, ob auch weitere Mitbestimmungsgremien in den Schutzbereich des § 92 einzubeziehen sind, was eine entsprechend weite Auslegung der Norm erforderlich macht. Dann müssten alle kollektivrechtlichen Mitbestimmungsgremien erfasst werden, die ihre Basis im BetrVG haben. Allerdings sollen von § 92 der Sprecherausschuss der leitenden Angestellten nach dem SprAUG, das Gremium der Jugend- und Auszubildenden-Vertretung gem. § 60 JAV, der Gesamt- Jugend- und Auszubildenden-Vertretung gem. § 72 JAV und der Konzern- Jugend- und Auszubildenden-Vertretung gem. § 73a BetrVG nicht von § 92 erfasst werden, da diese Gremien keine selbständigen, dem Betriebsrat gleichberechtigt gegenüberstehenden Organe der Betriebsverfassung seien und ihnen gegenüber dem Schuldner keine eigenständigen Beteiligungsrechte zustünden (Morgen-Röger, PräV, § 92 Rn. 5).

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Im Sinne eines umfassenden Schutzes der Arbeitnehmerrechte und dem Leitgedanken des § 13 Abs. 1 RL (RL (EU) 2019/1023, 46). folgend wird jedoch zu unterstellen sein, dass weitere Mitbestimmungsgremien, die im BetrVG angelegt sind, aber abweichenden Regelungen unterliegen können, ebenfalls von dem Schutzbereich der Norm umfasst sind. Es wird deshalb davon auszugehen sein, dass nicht nur der Sprecherausschuss oder die Jugend- und Auszubildenden-Vertretung in den Schutzbereich des § 92 einbezogen werden müssen, sondern bspw. auch Personalvertretungen gem. § 117 BetrVG für das fliegende Personal der Luftfahrt, auch wenn deren Beteiligungsrechte regelmäßig aufgrund einer tarifvertraglichen Regelung festgeschrieben werden, jedenfalls sofern diese – wie üblich – auf die Bestimmungen des BetrVG Bezug nimmt. Vergleichbares gilt auch für Bordvertretungen in Seeschifffahrtsunternehmen gem. §§ 114, 115 BetrVG.

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Ob dagegen aufgrund der eindeutigen Verweisung auf das BetrVG auch eine Ausweitung des Regelungskreises des § 92 auf Mitarbeitervertretungen bei konfessionellen Arbeitgebern oder auf Betriebe, in denen das öffentlich-rechtliche Personalvertretungsrecht gilt, beabsichtigt ist, ist fraglich. Liegen die Voraussetzungen des § 118 Abs. 2 BetrVG vor, findet das BetrVG auf die Religionsgemeinschaft und ihre Einrichtungen keine Anwendung (Richardi, BetrVG, § 118 Rn. 197). Auch auf juristische Personen des öffentlichen Rechts findet das BetrVG keine Anwendung, § 130 BetrVG. Insoweit ist alleine vom Wortlaut her für § 92 kein Raum. Allerdings gebieten Sinn und Zweck der Norm auch hier eine weite Auslegung des Schutzbereichs. Dafür spricht schon die Begründung des Regierungsentwurfs die festhält, dass durch die Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens Rechte und Befugnisse des Wirtschaftsausschusses, des Betriebsrats, „oder anderer Arbeitnehmervertretungsgremien“ nicht verkürzt werden dürfen (Begr. zu § 99 (jetzt § 92) RegE SanInsFoG, S. 215). Diese weite Auslegung findet ihre Rechtfertigung auch in der RiLi, nach der gem. § 13 Abs. 1 die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass die individuellen und kollektiven Rechte der Arbeitnehmer nach dem Arbeitsrecht der Union und dem nationalen Arbeitsrecht durch den präventiven Sanierungs- und Restrukturierungsrahmen nicht beeinträchtigt werden (Richtline 2019/1023/EG).

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Der Umfang der Beteiligung, d.h. insbesondere dieser Rechte der Gremien auf Unterrichtung und Anhörung, richtet sich dabei aber immer nach den jeweils geltenden spezifischen Regelungen. Insoweit will § 92 die Rechte der Arbeitnehmervertretungsgremien nicht verkürzen, aber auch nicht erweitern (Göpfert/Giese, NZI-Beil. 2021, S. 55, 55). Es ist deshalb nur geboten, die Rechte dieser Arbeitnehmervertretungen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zu wahren und insoweit eine Beteiligung vorzunehmen. Keinesfalls werden aufgrund § 92 diesen Gremien weitere Rechte eingeräumt, als ihnen nach den bestehenden Regelungen zustehen.

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Der präventive Sanierungs- und Restrukturierungsrahmen räumt den Arbeitnehmervertretungen keine eigene spezifische Beteiligung im vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren ein. Insbesondere werden die Arbeitnehmervertretungen nicht zu unmittelbaren Beteiligten des Verfahrens (Göpfert/Giese, NZI-Beil. 2021, S. 55, 55). Lediglich über den Gläubigerbeirat nach § 93 findet eine Verfahrensbeteiligung statt, dessen Einrichtung jedoch auch beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 im Ermessen des Gerichtes liegt. Die Zusammensetzung des Gläubigerbeirates richtet sich dabei nach den Vorschriften des vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 93 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a InsO), so dass regelmäßig auch ein Arbeitnehmervertreter Mitglied des Gläubigerbeirates sein wird. Die Aufgaben des Gläubigerbeirates entsprechend dabei gem. § 93 Abs. 3 S. 1 denen des Gläubigerausschusses im Insolvenzverfahren (Göpfert/Giese, NZI-Beil. 2021, S. 55, 57).

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Wenngleich es demnach keine Ausweitung der Rechte der Arbeitnehmervertretungen gibt, so ordnet § 92 dennoch an, dass Rechte und Befugnisse des Wirtschaftsausschusses, des Betriebsrats oder anderer Arbeitnehmervertretungsgremien sowie die Pflichten des Arbeitgebers diesen gegenüber durch die Inanspruchnahme des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nicht verkürzt werden dürfen. Werden demnach in dem Sanierungsverfahren Maßnahmen ergriffen oder Regelungen getroffen, die die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretungen tangieren, so sind diese zwingend zu wahren.

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Die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte sind sowohl spezifisch für Restrukturierungssituationen als auch für den regulären betrieblichen Alltag gefasst. Die Informationsrechte nach dem BetrVG sind dabei derart umfassend ausgestaltet, dass sich der Gesetzgeber in Umsetzung der RiLi auf den Verweis auf das BetrVG beschränken konnte.

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Im BetrVG wird zwischen Mitwirkungsrechten, Informationsrechten und Mitbestimmungsrechten unterschieden. Die Mitwirkungsrechte sind abgestuft ausgestaltet und von unterschiedlicher Intensität geprägt. Sie reichen von Informations- und Fragerechten über Anhörungsrechte und Beratungsverpflichtungen bis hin zu Widerspruchsrechten sowie echten Zustimmungserfordernissen. Allgemeine Informationsrechte sind solche aus § 80 Abs. 2 u. §§ 92 ff. BetrVG. Die Mitbestimmungsrechte stellen die stärkste Form der Beteiligung nach dem BetrVG dar. Können sich die Betriebsparteien nicht einigen, entscheidet in diesen Fällen die Einigungsstelle.

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Von besonderer Bedeutung sind insbesondere die Informations- und Beteiligungsrechte bzgl.

  • personeller Einzelmaßnahmen nach § 99 BetrVG,
  • sozialer Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 BetrVG,  
  • der Unterrichtung und Beratung zur Personalplanung (§ 92 Abs. 1 BetrVG);

sein.

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Durch den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen dürfen die geltenden betriebsverfassungsrechtlichen Gegebenheiten nicht eingeschränkt oder gar suspendiert werden. Den betriebsverfassungsrechtlichen Vorschriften sind damit uneingeschränkt zu beachten. Das Gesetz sieht keinerlei Privilegierungen, bspw. für die Umsetzung arbeitsrechtlicher Sanierungsmaßnahmen, vor.

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In einer Restrukturierung spielen neben der Reduzierung von Personalkosten durch Eingriffe in die Vergütungsstruktur und/oder das Arbeitszeitregime vor allem Personalabbaumaßnahmen eine entscheidende Rolle. Letztere berühren die Rechte der Arbeitnehmervertretungen massiv und lösen unterschiedliche Beteiligungsrechte aus. Insoweit ist auf eine frühzeitige und umfassende Information und Einbindung der Arbeitnehmervertretungen zu achten, bevor Fakten geschaffen werden. Das entspricht nicht nur den Vorgaben des BetrVG, sondern auch dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers im Rahmen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsverfahrens.

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Nach der RiLi ist die Arbeitnehmervertretung über die jüngste Entwicklung und die wahrscheinliche Weiterentwicklung der Tätigkeit und der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens oder des Betriebs zu informieren, damit diese dem Schuldner ihre Bedenken hinsichtlich der Geschäftssituation und in Bezug auf die Notwendigkeit, Restrukturierungsmechanismen in Betracht zu ziehen, mitteilen kann (Art. 13 Abs. 1 b i RiLi). Zudem hat die Unterrichtung der Arbeitnehmervertreter über alle präventiven Restrukturierungsverfahren, die sich auf die Beschäftigung auswirken könnten, etwa auf die Möglichkeit der Arbeitnehmer, ihre Löhne und etwaige zukünftige Zahlungen, auch im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung, einzutreiben, zu erfolgen (Art. 13 Abs. 1 b ii RiLi). Endlich ist die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertreter zu Restrukturierungsplänen, bevor sie gemäß Artikel 9 zur Annahme oder einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde gemäß Artikel 10 zur Bestätigung vorgelegt werden, notwendig.

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Auch wenn diese Vorgaben nicht ausdrücklich in den deutschen Gesetzestext Eingang gefunden haben, so ist die Bestimmung des § 92 doch so auszulegen, dass die vorgenannten Informations- und Beteiligungsinhalte gewahrt werden müssen. Diese gehen dabei in Umfang und Zeitpunkt zum Teil über die Bestimmungen des BetrVG hinaus und verlangen deshalb ein planvolles Vorgehen des Schuldners. Insbesondere die Verpflichtung zur Unterrichtung bei Maßnahmen, die sich auf die Beschäftigung auswirken, führt zu einer Ausweitung der bisher gegebenen Informationsrechte der Betriebsräte, denn diese Verpflichtung besteht auch unterhalb der Schwellenwerte des § 111 BetrVG, also im Falle einer Betriebsänderung (so auch Göpfert/Giese, NZI-Beil. 2021, S. 55, 56). Inhaltlich sind auch Informationen zum vorgeschlagenen Restrukturierungsplan vorzulegen, so dass die Arbeitnehmervertretung die verschiedenen Szenarien eingehend prüfen kann (Göpfert/Giese, NZI-Beil. 2021, S. 55, 56). Dies spricht für eine umfassende Information mit einer Darstellung unterschiedlicher Szenarien, die der Betriebsrat auch überprüfen können muss, ggfs. durch Einschaltung eines Sachverständigen.

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Nach dem BetrVG bestehen umfangreiche Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmervertretungen bei Betriebsänderungen gem. §§ 111 ff. BetrVG. Als Betriebsänderung werden dabei neben den organisatorischen Änderungen des Betriebsablaufs insbesondere die Betriebseinschränkung, d.h. der Personalabbau verstanden. Ob ein reiner Personalabbau auch zu einer beteiligungsrelevanten Betriebsänderung führt, bestimmt sich nach § 112a BetrVG. Voraussetzung ist die Überschreitung der entsprechenden Schwellenwerte. Maßgeblich ist dabei die Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer.

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Gem. §§ 111, 112a BetrVG stellen folgende Maßnahmen Betriebsänderungen dar:

  • Einschränkung oder Stilllegung des gesamten Betriebs oder wesentlicher Betriebsteile
  • Verlegung des gesamten Betriebs oder wesentlicher Betriebsteile
  • Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung von Betrieben
  • Grundlegende Änderung der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen
  • Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren
  • Personelle Einschränkungen/Personalabbau in den Schwellenwerten des § 17 Abs. 1 KSchG

Sofern demnach ein Restrukturierungsplan also Maßnahmen beinhaltet, die die vorgenannten Punkte betreffen, liegt eine Betriebsänderung i.S.d. BetrVG vor, sodass eine interessenausgleichspflichtige Maßnahme gegeben ist. Zwischen dem Betriebsrat und der Arbeitgeberseite ist dann jedenfalls der Abschluss eines Interessenausgleichs zu versuchen.

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Dabei besteht die Informationspflicht des Betriebsrates ab dem Zeitpunkt, in dem die Betriebsänderung durch den Arbeitgeber konkret geplant ist und sich bspw. durch die Festlegung der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmerinnen hinreichend konkretisiert hat. Das Beteiligungsrecht ist in jedem Fall dann verwirklicht, wenn der Arbeitgeber erste Maßnahmen umsetzt, bspw. Arbeitnehmerinnen unwiderruflich von der Erbringung der Arbeitsleistung freistellt. Hier kann es zu einer Vorverlagerung des Beteiligungszeitpunktes im Rahmen des Restrukturierungsverfahrens kommen, denn entsprechend der RiLi muss die Arbeitnehmervertretung über die jüngste Entwicklung und die wahrscheinliche Weiterentwicklung der Tätigkeit, die wirtschaftlichen Situation und über alle präventiven Restrukturierungsverfahren, die sich auf die Beschäftigung auswirken könnten, informiert werden. Die Information besteht damit bereits in einem Stadium, bevor konkrete Planungen bzgl. einer Betriebsänderung gegeben sind. Zwar muss bei einer geplanten Betriebsänderung der Betriebsrat seine Vorstellungen einbringen können und insoweit dürfen die betriebsändernden Maßnahmen nicht final sein, sondern die Gespräche müssen ergebnisoffen geführt werden können, aber eine Planung muss schon bestehen, um die Informationspflicht des Arbeitgebers auszulösen. Die Informationspflicht nach § 92 setzt also in Auslegungen der Bestimmungen der RiLi zeitlich früher ein, faktisch also frühzeitiger als die Information des Betriebsrates bei Betriebsänderungen nach dem BetrVG.

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Kündigungsrechtlich von zentraler Bedeutung ist die Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 BetrVG. Vor jeder Kündigung ist im Anwendungsbereich des BetrVG der Betriebsrat anzuhören. Auch hier wird über § 92 klargestellt, dass Einschränkungen des Anhörungsverfahrens im vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren nicht zulässig sind.

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Ist im Rahmen einer Sanierungsmaßnahme der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen beabsichtigt, so sind gem. § 92 auch betriebsverfassungsrechtliche Kündigungsbeschränkungen uneingeschränkt zu beachten. Diese können bspw. in Betriebsvereinbarungen festgeschrieben sein und das Anhörungsrecht des Betriebsrats gem. § 102 BetrVG zu einem echten Zustimmungserfordernis des Betriebsratsgremiums erweitern oder den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen insgesamt einschränken oder sogar ausschließen. Da die Anwendbarkeit insolvenzrechtlicher Privilegierungen, insbes. die des § 113 S. 1 InsO, im präventiven Restrukturierungsrahmen ausscheidet, werden solche Kündigungsbeschränkungen auch nicht durchbrochen und sind damit uneingeschränkt zu berücksichtigen.

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Zu fragen ist daneben, ob neben den originären Rechten aus dem BetrVG auch die Wahrung weiterer Bestimmungen über § 92 gefordert wird. Auch wenn § 92 dem Wortlaut nach ausdrücklich auf das BetrVG verweist, sodass insoweit zunächst ausschließlich auf Aufgaben, Rechte und Befugnisse aus diesem Gesetz abzustellen sein wird, ist nach der Begründung des Regierungsentwurfs aber davon auszugehen, dass die Rechte der Arbeitnehmervertretungen insgesamt und umfassend durch das Verfahren nicht angetastet werden dürfen. Kollektivrechtliche Beteiligungsrechter ergeben sich nämlich auch aus anderen Gesetzen. Insoweit könnte bspw. auch das Konsultationsverfahren nach § 17 KSchG erfasst sein.  

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Richtigerweise wird man annehmen müssen, dass § 92 auch hier in einem umfassenden Sinne verstanden werden muss. Für dieses Verständnis spricht die Regelung des § 6 Nr. 1, nachdem über den Restrukturierungsplan in Forderungen von Arbeitnehmern aus und in Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen insgesamt nicht eingegriffen werden kann. Daneben muss auch hier der in der RL niedergelegten Grundsatz beachtet werden, nachdem kollektive Rechte durch den präventiven Restrukturierungsrahmen nicht beeinträchtigt werden dürfen (Richtline 2019/1023/EG). Insoweit ist davon auszugehen, dass neben den spezifischen Rechten aus dem BetrVG auch solche Rechte der Arbeitnehmervertretungen nicht beeinträchtigt werden dürfen, die sich nicht unmittelbar aus dem BetrVG ergeben. § 92 ist damit nicht nur auf die Regelungen des BetrVG beschränkt.

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Im Rahmen von Massenentlassungen ist beim Überschreiten der Schwellenwerte des § 17 KSchG, neben der erforderlichen Anzeige der geplanten Entlassungen nach § 17 Abs. 2 KSchG, auch das Konsultationsverfahren mit der Arbeitnehmervertretung durchzuführen. Die Vorschriften der §§ 17, 18 KSchG wurden auf Grundlage der Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG in das deutsche Recht umgesetzt. Bereits Art. 13 Abs. 1c der RiLi über Restrukturierung und Insolvenz bestimmt, dass auch Rechte aus der Massenentlassungsrichtlinie durch den präventiven Restrukturierungsrahmen nicht beeinträchtigt werden dürfen. Auch wenn sich § 92 ausdrücklich nur auf die Einhaltung der Rechte aus dem BetrVG bezieht, ist davon auszugehen, dass im vorinsolvenzlichen Restrukturierungsrahmen die Regelungen des KSchG uneingeschränkt gelten, zumal auch die InsO keine Einschränkungen des Kündigungsschutzes kennt. Im Rahmen des Konsultationsverfahrens muss der Arbeitgeber also gem. § 17 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–6 KSchG die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer (Berufsgruppenliste), die Zahl und die Berufsgruppen, der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer und die für die Berechnung etwaiger Abfindung vorgesehenen Kriterien mitteilen. Die Betriebsparteien haben dann gem. § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG die Option darüber zu beraten, wie Entlassungen vermieden, eingeschränkt oder ihre Folgen abgemildert werden können. Erfolgt all dies nicht oder nicht richtig, sind die ausgesprochenen Kündigungen wegen des Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) unwirksam. 

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§ 92 verweist ausdrücklich auch auf die Einhaltung der Beteiligungsrechte des Wirtschaftsausschusses gem. § 106 BetrVG. Maßnahmen im Rahmen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens tangieren die wirtschaftlichen Angelegenheiten eines Unternehmens unmittelbar. Der Wirtschaftsausschuss ist von dem Arbeitgeber in eben diesen wirtschaftlichen Angelegenheiten rechtzeitig und umfassend zu informieren (§ 106 Abs. 2 S. 1 BetrVG) und der Arbeitgeber muss diese mit dem Wirtschaftsausschuss beraten (§ 106 Abs. 1 BetrVG). Im Katalog des § 106 Abs. 2 BetrVG sind die wirtschaftlichen Angelegenheiten, über die zu unterrichten und zu beraten ist, aufgeführt. Es handelt sich jedoch nicht um eine abschließende Aufzählung (ErfK-ArbR/Kania, BetrVG, § 106 Rn. 7). Dabei ist der Wirtschaftsausschuss kein eigenes Mitbestimmungsorgan, sondern Hilfsorgan des Betriebsrats ErfK-ArbR/Kania, BetrVG, § 106 Rn. 1).

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Bereits die beabsichtigte Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens gemäß § 31 Abs. 1 führt zur Unterrichtungs- und Beratungspflicht des Wirtschaftsausschusses nach § 106 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 Nr. 10 BetrVG (Morgen-Röger, PräV, § 92 Rn. 19).

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Auf Arbeitgeberseite ist der Schuldner im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen befugt, über sein Vermögen zu verfügen und dieses zu verwalten. Er behält demnach auch die Arbeitgeberstellung und ist insoweit auch gegenüber den betriebsverfassungsrechtlichen Gremien verhandlungs- und abschlussbefugt.

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Gem. § 63 Abs. 1 Nr. 2 kann es zur Versagung der Planbestätigung kommen, wenn die Vorschriften über den Inhalt und die verfahrensmäßige Behandlung des Restrukturierungsplans in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet worden sind und der Schuldner den Mangel nicht beheben kann oder innerhalb einer angemessenen, vom Restrukturierungsgericht gesetzten Frist nicht behebt. Sollten demnach die frühzeitige Beteiligung der Arbeitnehmervertretung nicht oder nicht richtig erfolgt sein und insoweit § 92 verletzt worden sein, könnte die Planbestätigung versagt werden.

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Zudem können aus der Verletzung von Rechten aus dem BetrVG weitere Folgen ergeben, bspw. die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen oder auch die Verwirklichung von Ordnungswidrigkeitstatbeständen.

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Der Schuldner muss sich demnach im vorinsolvenzlichen Restrukturierungsrahmen innerhalb der betriebsverfassungsrechtlichen Vorgaben bewegen. Kollektivrechtliche Privilegierungen, wie sie im eröffneten Insolvenzverfahren gegeben sind, sollen nach dem Regierungsentwurf nicht greifen. Dies betrifft z.B. die insolvenzspezifischen Beschlussverfahren nach § 122, 126 InsO, die insoweit ausscheiden.

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Damit ist auf die frühzeitige und umfassende Einbindung der Arbeitnehmervertretung zu beachten. Die Wahrung der Beteiligungsrechte und der Zeitpunkt der Information bzw. der Beteiligung ist umfassend zu dokumentieren, um später einen geeigneten Nachweis führen zu können, falls die Wahrung der Rechte der Arbeitnehmervertretung problematisiert wird. Im Rahmen der Gesamtplanung sind auch etwaige Verzögerungen des Prozesses durch die Beteiligung der Arbeitnehmergremien zu beachten. Auch empfehlt es sich schon frühzeitig eventuelle Gegenmaßnahmen der Arbeitnehmervertretung und Folgen in wirtschaftlicher Hinsicht (Klagerisiken, Abfindungshöhen im Falle von Personalabbaumaßnahmen) zu berücksichtigen.