(1) Die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs einer juristischen Person (Geschäftsleiter) wachen fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können. Erkennen sie solche Entwicklungen, ergreifen sie geeignete Gegenmaßnahmen und erstatten den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (Überwachungsorganen) unverzüglich Bericht. Berühren die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeiten anderer Organe, wirken die Geschäftsleiter unverzüglich auf deren Befassung hin.
(2) Bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit im Sinne von § 15a Absatz 1 Satz 3 und Absatz 2 der Insolvenzordnung gilt Absatz 1 entsprechend für die Geschäftsleiter der zur Geschäftsführung berufenen Gesellschafter.
(3) Weitergehende Pflichten, die sich aus anderen Gesetzen ergeben, bleiben unberührt.
Übersicht
Der Gesetzgeber nimmt in § 1 Abs. 1 S. 1 die Geschäftsleitung allgemein und rechtsformübergreifend in die Pflicht, fortlaufend über diejenigen wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklungen zu wachen, die den Fortbestand des Unternehmens gefährden können (Krisenfrüherkennungspflicht). Zeichnen sich gefährdende Entwicklungen ab, muss die Geschäftsleitung gem. § 1 Abs. 1 S. 2 geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen und die zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organe unverzüglich über die sich abzeichnende Krise in Kenntnis setzen. Ist für die Ergreifung der Maßnahmen nach § 1 Abs. 1 S. 2 die Mitwirkung anderer Organe (bspw. die der Gesellschafterversammlung) erforderlich, wird der Geschäftsleitung nach § 1 Abs. 1 S. 3 aufgetragen, unverzüglich auf deren Befassung hinzuwirken.
Mit der Verabschiedung des StaRUG kommt der Gesetzgeber seinem Umsetzungsauftrag aus der Restrukturierungsrichtlinie (EU) 2019/1023 nach. Die Pflichten zur Implementierung eines Krisenfrüherkennungssystems in den Geschäftsablauf und zur Ergreifung von krisenabwendenden Gegenmaßnahmen folgen aus Art. 19 RL (EU) 2019/1023 und aus den diesen Artikel stützenden Erwägungsgründen 7, 70, und 71. Nicht Gesetz geworden ist dagegen die in §§ 2, 3 StaRUG-RegE vorgesehene und sanktionierte Pflicht des Geschäftsleiters, die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger mit Eintritt drohender Zahlungsunfähigkeit zu wahren (hierzu auch unten Rn. 31).
Hauptanliegen des Richtliniengebers war es, den Binnenmarkt bzw. die Kapitalmarktunion durch die Angleichung der bestehenden Insolvenz- und Sanierungsverfahren zu stärken. Durch die Möglichkeit der außergerichtlichen und vorinsolvenzlichen Restrukturierung wollte man Schuldnern eine zweite Chance ermöglichen, ohne sich dem negativen Stigma der Insolvenz und den damit verbundenen Reputationsschäden ausgesetzt zu sehen. Zudem wollte die europäische Kommission durch die Harmonisierung einen Mindeststandard für Insolvenz- und Sanierungsverfahren schaffen. Anlegern sollte die Scheu vor grenzübergreifenden Investitionen genommen und die länderübergreifende Anerkennung von Restrukturierungsplänen gefördert werden. (zusammenfassend dazu Heß, Die Restrukturierung des Insolvenzrechts, S. 52ff.).
Die frühzeitige und vorfristige Umsetzung der Richtlinie ist vor allem auf die coronabedingte Depression der Wirtschaft zurückzuführen (vgl. BT-Drs. 19/24181, S. 85). Da sich die gravierenden wirtschaftlichen Folgen gerade bei den KMU als Hauptadressaten der Richtlinie abzeichnen (Smid, NZI-Beilage 01/2021, S. 64; ErwG 17 RL(EU) 2019/1023), wollte man dem Bedürfnis nach einem schlankeren, außergerichtlichen und schneller zugänglichen Sanierungsverfahren entsprechen, das auf Fortführung und Erhalt der Unternehmenswerte gerichtet ist (Riewe, NZI-Beilage 01/2021, S. 6, 7).
Das StaRUG ist damit nach dem ESUG ein weiterer Versuch, die Geschäftsleitung von Unternehmen zur Krisenfrüherkennung und und zu einem frühzeitigen Handeln in der Krise anzuhalten. Ausgestaltet ist das Verfahren als echte Alternative zum Insolvenzverfahren. Die Insolvenzantragspflicht ruht, wenn eine Restrukturierungssache rechtshängig ist (§ 42 Abs. 1). Der bisher stets bis zuletzt hinausgezögerte Insolvenzantrag muss also unter Umständen gar nicht mehr gestellt werden. Inwieweit die sanktionsfreie Rechtsvorschrift tatsächlich das Antragsverhalten krisengeschüttelter Unternehmer nachhaltig zu verändern vermag, bleibt abzuwarten (vgl. Haarmeyer/Lissner/Rombach, ZInsO 2021, S. 368, 370; Gehrlein, Editorial NZI 1 – 2/2021). In der erlassenen Form muss das Gesetz Anreize schaffen und Sanierungserfolge ermöglichen, um die vom Verfasser gesetzten Ansprüche zu erfüllen und die Geschäftsleitung zu einer frühen Einleitung der Sanierung unter dem StaRUG anzuhalten (kritisch hierzu Smid, NZI-Beilage 01/2021, S. 64).
Die Geschäftsleitung trifft gem. § 1 Abs. 1 eine allgemeine und rechtsformübergreifende Pflicht zur Krisenfrüherkennung und zur Krisenabwendung sowie entsprechende Informationspflichten gegenüber den Überwachungsorganen.
Im rechtstechnischen Sinne ist § 1 Abs. 1 kein echtes Konditionalprogramm, das in Tatbestand und Rechtsfolge unterteilt werden kann. Als Programmsatz formuliert beschreibt der Normsetzer eine erwünschte Handlungsweise, ohne sich auf eine Rechtsfolge zu beziehen (Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 261 ff.) Als Zielsetzung stellt § 1 Abs. 1 dem Gesetz allgemein anerkannte Erfolgsvoraussetzungen einer Sanierung voran: Je früher, schneller und stiller die Sanierung angestrengt wird, desto höher ihre Erfolgsaussichten (vgl. K. Schmidt, Verhandlungen des 54. DJT 1982, Gutachten D S. 55 ff, 133).
Nach § 1 Abs. 1 S. 1 trifft die Geschäftsleitung die Pflicht, fortlaufend über krisenindizierende Entwicklungen zu wachen. Diese der Sanierung zeitlich vorgreifende Pflicht soll dazu dienen, den Sanierungsprozess zu vereinfachen, indem bei Sanierungsfähigkeit geeignete Gegenmaßnahmen auf der Grundlage von ausreichenden Informationen über die finanzielle, rechtliche und tatsächliche Lage des Unternehmens getroffen werden können. Die Sanierung nach dem StaRUG hängt von der (mehrheitlichen) Zustimmung der Gläubiger ab. Je geringer das Informationsgefälle zwischen Gläubiger und Sanierendem ist, desto eher lassen sich beschlossene Maßnahmen umsetzen. Inhaltlich entspricht § 1 Abs. 1 S. 1 der Vorschrift § 91 Abs. 2 AktG, der mit dem Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich eingeführt wurde, um Insolvenzen und damit verbundene volkswirtschaftliche Schäden zu vermindern (vgl. die Begründung zum KonTraG; BT-Drs. 13/9712, S. 15).
„Wie“ die Krisenfrüherkennung erfolgen soll, regelt das Gesetz nicht. Konkrete Pflichten werden nicht genannt. Nach den Gesetzesmaterialien beschränkt sich der Regelungsgehalt der Vorschrift darauf, „das geltende Recht im Interesse an Rechtsklarheit für die Rechtsanwender einer positiven Regelung zuzuführen. Die normierten Pflichten können dem geltenden Recht entnommen werden.“ (BT-Drs. 19/24181, S. 103 zu § 1). Die Vorschrift hat demnach klarstellende Funktion (vgl. auch Desch, BB 2020, S. 2498, 2500; Gehrlein, BB 2021, S. 66, 67). § 101 verweist zu Informationen für die frühzeitige Identifizierung von Krisen auf die Internetseite des Bundesministeriums der Justiz www.bmjv.bund.de. Der Regierungsentwurf erwähnt www.existenzgruender.de mit unterschiedlichen Krisen-Checklisten für Unternehmer, unter anderem einer „Früherkennungstreppe“. Bei der rechtlichen Pflichtenkontrolle wird dies nicht helfen. In der Rechtspraxis fällt die fehlende gesetzliche Ausgestaltung des Pflichtenkatalogs künftig der Rechtsprechung zu.
Die Pflicht zur Krisenfrüherkennung gem. § 1 Abs. 1 trifft KMU gleichermaßen wie Großunternehmen und gilt rechtsformübergreifend. Allgemeingültig können deshalb nur Mindestanforderungen für die Pflichten definiert werden (BT-Drs. 19/24181, S. 103). Im Einzelnen sind die Ausformung und die Reichweite des Pflichtenkatalogs nach dem Willen des Gesetzgebers von der Größe, Branche, Struktur und der Rechtsform abhängig. Vor allem bei kleineren Unternehmen verbiete es sich, übermäßige Organisationspflichten zu statuieren (vgl. BT-Drs. 19/24181, S. 104).
Eine der Mindestanforderungen an ein Risikofrüherkennungssystem ist, dass die Geschäftsleitung ihren gesetzlich normierten Pflichten nachkommen können muss. So kann etwa die Insolvenzantragspflicht gem. § 15a Abs. 1 InsO nur erfüllt werden, wenn die Geschäftsleitung die wirtschaftliche und die finanzielle Lage der Gesellschaft überwacht. Die Krisenüberwachung nach § 1 Abs. 1 geht darüber hinaus. Sie soll ermöglichen, dass die Geschäftsleitung in einem frühen Stadium der Krise geeignete Maßnahmen einleiten kann, um eine spätere Ergebnis- oder Liquiditätskrise und letztlich die Insolvenz abwenden zu können.
Im Einzelfall ist zur näheren Ausgestaltung des Pflichtenkatalogs auf anerkannte Rechtsgrundsätze zurückzugreifen. Schon vor Inkrafttreten des § 1 Abs. 1 ergab sich die Pflicht zur Krisenfrüherkennung aus dem Legalitätsprinzip (Poertzgen, ZInsO 2020, S. 2509, 2510). Dieses nimmt die Geschäftsführer grundlegend in die Pflicht, sich gesetzestreu zu verhalten (Fuhrmann/Heinen/Schilz, NZG 2020, S. 1368, 1369 m.w.N. bei Fn. 14). Die sich aus der Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung und dem Grundsatz der allgemeinen Leitungssorgfalt aus § 43 GmbHG bzw. aus § 93 Abs. 1 AktG ergebenden Berichts-, Informations-, Rechenschafts- und Prüfpflichten (MüKo-GmbHG/Fleischer, § 43 Rn. 21, 24) werden durch § 1 Abs. 1 grundsätzlich nicht berührt, aber bezüglich der Hinweispflicht aus § 1 Abs. 1 S. 2 konkretisiert (Kühne/Lienhard, SanB 2020, S. 144). Bei der Ausgestaltung des Frühwarnsystems ist der Geschäftsleitung ein Ermessen einzuräumen, dies folgt nicht zuletzt aus der Business Judgement Rule (Kühne/Lienhard aaO.).
„Wann“ die gesetzlichen Pflichten greifen sollen, bleibt ebenfalls ungeregelt (vgl. hierzu ausführlich Bea/Dressler, NZI 2021, S. 67). Hier ist zwischen der Krisenüberwachung und der Krisenabwendung zu unterscheiden. Die Pflicht zur Krisenüberwachung muss laufend gelten, um eine effektive und frühzeitige Krisenabwendung zu ermöglichen (zur Krisenabwendung siehe unten Rn. 14).
Erkennt die Geschäftsleitung Entwicklungen, die den Fortbestand der Gesellschaft gefährden können, hat sie gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Nicht geregelt ist der konkrete Zeitpunkt, ab wann die Krisenbewältigung eingeleitet werden muss. Auch insoweit ist auf allgemeine Rechtsgrundsätze der Geschäftsleitungspflichten zurückzugreifen, vorrangig auf § 93 Abs. 1 AktG und § 43 Abs. 1 GmbHG. Generell ist danach von einer Handlungspflicht auszugehen, wenn eine ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleitung einer Entwicklung mit erkennbaren, wesentlich nachteiligen Folgen für die Ertrags-, Liquiditäts- oder Vermögenslage des Unternehmens gegensteuern würde (vgl. Hoffmann, WM 2021, S. 429, 430).
Soll die Sanierung mit StaRUG-Instrumenten erfolgen, ist auch nach der Streichung von §§ 2, 3 StaRUG-RegE die drohende Zahlungsunfähigkeit maßgeblich. Diese ist einerseits Voraussetzung für die Anzeige einer Restrukturierungssache nach § 31 Abs. 1 (Schluck-Amend/Hefner, ZRI 2020, S. 570, 572; Gehrlein, BB 2021, S. 66, 71 mwN bei Fn. 95). Anderseits sind Verfahrenshilfen nach dem StaRUG gemäß § 29 Abs. 1 auf die nachhaltige Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit gerichtet.
Mit Eintritt der Überschuldung soll der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach dem Willen des Gesetzgebers nicht mehr das richtige Werkzeug zur Krisenbewältigung sein (vgl. BT-Drs. 19/24181, S. S. 131f.). Allerdings besteht zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung kein trennscharfer Sanierungskorridor. Vielmehr sind StaRUG-Maßnahmen wie beispielsweise ein Restrukturierungsplan in die Fortführungsprognose einzubeziehen und damit in die Prüfung, ob überhaupt Überschuldung vorliegt. Voraussetzung ist, dass die Zahlungsfähigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit den geplanten Maßnahmen im Prognosezeitraum erhalten werden kann (vgl. zum Restrukturierungsplan IDW ES 11 n.F. Rn. 68). Bei hinreichend konkreten Sanierungsplänen und –aussichten kann das vermeintlich „geschlossene“ StaRUG-Sanierungsfenster deshalb durchaus noch offenstehen, vgl. § 33 Abs. 2 Nr. 1 (so auch Brinkmann, ZIP 2020, S. 2361, 2362).
Ebenso wie bei den Maßnahmen zur Krisenfrüherkennung regelt der Gesetzgeber auch bei der Krisenabwendung nur die Frage, „ob“ Maßnahmen zu ergreifen sind. Unklar bleibt, „wie“ diese ausfallen sollen (vgl. Seibt/Bulgrin, DB 2020, S. 2226, 2229 mwN bei Fn. 50). Trotz einiger Kritik an der fehlenden Rechtsklarheit ist dieses Vorgehen sinnvoll, weil es der Geschäftsleitung Entscheidungsspielräume eröffnet. Rettungs- und Sanierungsmaßnahmen lassen sich nur Unternehmensbezogen und im Einzelfall beurteilen, da sie von der künftigen Entwicklung des Unternehmens abhängen.
Ausgangspunkt der Sanierungsmaßnahmen nach § 1 Abs. 1 ist die Feststellung der Sanierungsfähigkeit. Es ist eine umfassende Ursachenanalyse vorzunehmen, die Grundlage des zu erstellenden Sanierungskonzepts mit den erforderlichen Sanierungsbeiträgen aller Beteiligten ist (vgl. Korch, ZGR 2019, S. 1050, 1053 m.w.N. bei Fn. 18). Entscheidend ist, ob die ermittelten Krisenursachen in dem Planungszeitraum überwindbar erscheinen. Anerkannte Prüfungsstandards zur Sanierungsfähigkeit liefern insoweit die Rechtsprechung (vgl. u.a. BGH NZI 2016, 636) und der IDW S6.
Anhand des Sanierungskonzepts sind sorgsam die Maßnahmen auszuloten, die für eine erfolgreiche Sanierung erforderlich und erfolgversprechend umsetzbar sind. Welche Sanierungsrichtung eingeschlagen und mit Einzelmaßnahmen umgesetzt wird, steht im Ermessen der Geschäftsleitung und hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. Bork, ZIP 2011, S. 101, 107). Bei der Ermessensausübung unterliegt die Geschäftsleitung den allgemeinen Sorgfaltsanforderungen gem. § 93 Abs. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG. In Verbindung mit der Business Judgement Rule ergibt sich, dass bei unternehmerischen Entscheidungen ein Sorgfaltsverstoß nicht vorliegt, wenn die Geschäftsleitung vernünftiger Weise davon ausgehen konnten, auf Grundlage angemessener Information zum Wohl der Gesellschaft gehandelt zu haben (Hoffmann, WM 2021, S. 429, 432; vgl. Fuhrmann/Heinen/Schilz, NZG 2020, S. 1368, 1369). Die Einschätzung der gesetzlichen Vertreter muss bei Prüfung ex post für den Beurteilenden nachvollziehbar sein; also plausibel (vgl. im Zusammenhang mit der Fortbestehensprognose IDW ES 11 n.F. Rn. 64). Starre Grenzen findet der Ermessensspielraum in der Legalitäts- und Rechtmäßigkeitspflicht, etwa mit Eintritt der Insolvenzantragspflicht.
Bei der Entscheidung über Sanierungsmaßnahmen sind trotz der Streichung der §§ 2, 3 StaRUG-RegE und der Absage an den darin angelegten shift of fiduciary duties auch die Gläubigerinteressen zu berücksichtigen (vgl. Jungmann, ZRI 2021, S. 209, 213). Die Pflichten gegenüber den Gläubigern verdichten sich mit zunehmender Verschärfung der Krise (Hoffmann, WM 2021, S. 429, 432; dazu auch BT-Drs. 19/24181, S. 85). Spätestens mit Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit sind Maßnahmen zu unterlassen, die geeignet sind, eine mit der Liquiditätskrise angelegte Gefährdung von Gläubigerinteressen weiter zu vertiefen (vgl. Bea/Dressler, NZI 2021, S. 67 f.).
Sind nach dem Sanierungskonzept Maßnahmen nach dem StaRUG geplant, ist für die Geschäftsleitung vorgreiflich entscheidend, ob sie vor der Freigabe entsprechender Ressourcen die Zustimmung anderer Gesellschaftsorgane einholen muss. § 2 Abs. 2 S. 2 StaRUG-RegE sah noch vor, dass Beschlüsse und Weisungen anderer Organe unbeachtlich sind, soweit sie der Wahrung der Gläubigerinteressen entgegenstehen. Diese Regelung wurde gestrichen.
Ebenso wie beim Insolvenzantrag ist die Entscheidung der Geschäftsleitung zur Einleitung einer StaRUG-Maßnahme unabhängig von der vorherigen Befassung anderer Organe zunächst einmal rechtswirksam. Von der Wirksamkeit des Geschäftsleitungshandelns zu trennen ist ihre mögliche Innenhaftung. Für den Insolvenzantrag wird der Geschäftsleitung die Befugnis zur Antragstellung bei (nur) drohender Zahlungsunfähigkeit abgesprochen, weil es sich um Grundlagengeschäft handelt, das nur mit Einverständnis der Gesellschafterversammlung vorgenommen werden darf (u.a. K. Schmidt/K. Schmidt, § 18 Rn. 31; a.A. Hölzle, ZIP 2013, S. 1846, 1851). Auf Instrumente nach dem StaRUG sind diese in Rechtsfortbildung entwickelten Überlegungen entsprechend anzuwenden, auch wenn die Verfahrensziele nicht identisch sind (Jungmann aaO, S. 213 m.w.N.). Mit Anzeige der Restrukturierungssache hat die Geschäftsleitung gem. § 43 Abs. 1 S. 2 in der Restrukturierungssache die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren. Die Einleitung dieses Pflichtenwechsels bedarf als Grundlagengeschäft der Zustimmung der Gesellschafter (Scholz, ZIP 2021, S. 219, 226).
Aufzulösen ist der Entscheidungskonflikt aber bereits über die Informationspflichten gem. § 1 Abs. 1. Bei pflichtgemäßer Information der Geschäftsleitung gegenüber den Überwachungsorganen ist gewährleistet, dass auch die Gesellschafter über die Krise und deren Ursachen informiert sind. Auf dieser Grundlage können sie Weisungen im Zusammenhang mit der Krisenbewältigung erteilen. Diese Weisungen sind bindend und die Geschäftsleitung darf sich insbesondere nach der Streichung von § 2 Abs. 2 S. 2 StaRUG-RegE nicht darüber hinwegsetzen (so auch Brünkmans, ZInsO 2021, S. 125, 127). Im Ergebnis werden damit die Gesellschafter über die Inanspruchnahme der Instrumente entscheiden. Erweisen sich im Nachhinein StaRUG-Maßnahmen der Geschäftsleiter als nicht vom Willen anderer Gesellschaftsorgane gedeckt, wird regelmäßig ein zeitlich vorgelagerter Verstoß gegen die Informationspflichten vorliegen, der nach den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften zu sanktionieren ist (vgl. Hoffmann, WM 2021, S. 429, 434; s. dazu auch unten Rn. 27).
Gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 hat das Geschäftsführende Organ den Überwachungsorganen unverzüglich Bericht zu erstatten, wenn sie bestandsgefährdende Entwicklungen gemäß S. 1 erkennen. Darüber hinaus gehende Informationspflichten, gelten gemäß Abs. 3 fort, wie etwa Berichtspflichten des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat gemäß § 90 AktG.
Die Pflichten aus § 1 Abs. 1 S. 2 sind entgegen der ursprünglichen Entwurfsfassung nicht mehr ausdrücklich haftungsbewährt. Die §§ 2, 3 StaRUG-RegE sahen eine an die drohende Zahlungsunfähigkeit anknüpfenden Haftung der Geschäftsleitung haftungsbeschränkter Unternehmen vor (BT Drs. 19/24181, S. 14). Eine Pflichtverletzung lag regelmäßig dann nicht vor, wenn die Geschäftsleitung davon ausgehen durfte, die Interessen der Gläubiger gewahrt zu haben. Die ursprünglich vorgesehene Haftung sollte als Korrektiv zu der Möglichkeit der Geschäftsleitung dienen, mit den StaRUG-Instrumenten vorinsolvenzlich in Rechte der Gläubiger eingreifen zu können (BT-Drs. 19/24181, S. 85). Mit der Streichung der sog. Sanierungsverschleppungshaftung (Hoffmann, WM 2021, S. 429, 430, 440) ist das Korrektiv weggefallen (vgl. Eckert/Holze/Ippen, NZI 2021, S. 153, 156). Allerdings bei zeitgleichem Wegfall einzelner Eingriffsmöglichkeiten in Gläubigerrechte (vgl. hierzu die Kommentierung zu § 2).
Die vom Gesetzgeber vorgenommenen Änderungen am StaRUG wurde damit begründet, dass man die bereits bestehenden handels- und gesellschaftsrechtlichen Haftungssysteme insbesondere aus Gläubigerschutzgesichtspunkten generell für ausreichend hielt. Ferner lasse sich die zunächst geplante Außenhaftung nach dem StaRUG zu den bereits bestehenden handels- und gesellschaftsrechtlichen Haftungssystemen nur schwerlich abgrenzen (Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT Drs. 19/25353 S. 6).
Die Streichung der bis zuletzt vorgesehenen Außenhaftung erfolgte in dem Verständnis des Gesetzgebers, dass diese „keine Haftungslücken hinterlässt“ (BT Drs. 19/25353, S. 6). Verletzt die Geschäftsleitung ihre Krisenfrüherkennungs-, Sanierungs- und Berichtspflicht haftet sie nach den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften, insbesondere gem. §§ 43 Abs. 2 GmbHG, 93 Abs. 2 AktG (vgl. BT-Drs. 19/24181, S. 103).
Die Geltendmachung dieser Ansprüche erfolgt grundsätzlich im Wege der Innenhaftung, also bei der Aktiengesellschaft durch den Aufsichtsrat gegen dem Vorstand nach den sog. ARAG-Grundsätzen (BGH, NZG 2018, 1301) und für die GmbH muss die Anspruchsverfolgung auf Grundlage eines Gesellschafterbeschlusses i.S.v. § 46 Nr. 8 GmbHG erfolgen. Im Falle der Insolvenzeröffnung ist der Anspruch durch den Insolvenzverwalter durchzusetzen (vgl. insges. Brünkmans, ZInsO 2021, S. 1, 3)
Von Bedeutung in der Diskussion um eine mögliche Haftung ist der schwierige Nachweis eines kausalen Schadens. Zu ermitteln ist der Schaden anhand eines hypothetischen Sanierungsverlaufs. Ein Schaden läge nur vor, wenn die Vermögenslage nach pflichtwidrigem Sanierungsverlauf schlechter ist als im hypothetischen und pflichtgemäßen Sanierungsszenario. Dieser Nachweis wird in der Praxis – gerade unter Berücksichtigung der sekundären Darlegungslast – kaum gelingen (vgl. Hoffmann, WM 2021, S. 429, 430).
Durch die Streichung der §§ 2, 3 StaRUG-RegE fehlt dem Gesetz ein Anknüpfungspunkt für eine verschärfte Haftung der Geschäftsleitung ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Auch ist die nach der Richtlinie zwingend erforderliche Berücksichtigung der Gläubigerinteressen bei wahrscheinlicher Insolvenz nicht mehr gesetzlich geregelt. Eine gesetzliche Haftung nach dem StaRUG greift gem. § 43 Abs. 1 erst, wenn eine Restrukturierungssache dem Restrukturierungsgericht angezeigt worden ist (Jungmann, ZRI 2021, S. 209, 212).
Die RL(EU) 2019/1023 schreibt in Art. 19 vor, dass die Mitgliedsstaaten die gebührende Berücksichtigung der Interessen der Gläubiger mit wahrscheinlicher Insolvenz sicherzustellen haben. Diesen Umsetzungsauftrag hat der Gesetzgeber insoweit nicht erfüllt (so auch Jungmann, aaO.). Hierzu wird vertreten, der "shift of fiduciary duties" erfolge unabhängig von der Streichung der §§ 2, 3 StaRUG-RegE, weil mit zunehmendem Insolvenzrisiko auch die Gläubigerinteressen verstärkt zu berücksichtigen seien (so im Ergebnis Bitter, ZIP S. 321, 322 mwN bei Fn. 13; aA Jungmann aaO., S. 219; Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, S. 191f.; Scholz, ZIP 2021, S. 219, 220; Kuntz, ZIP 2021, S. 597, 602; Guntermann, WM 2021, S. 214, 215). Allerdings ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass eine Pflicht ohne Haftung praktisch wirkungslos bleibt und damit die in Art. 19 RL(EU) 2019/1023 vorgegebene „gebührende Berücksichtigung der Gläubiger“ ausschließlich in den Händen der Geschäftsleitung liegt (Gunterman, WM 2021, S. 214, 220).
Für die Rechtspraxis ist in erster Linie von Bedeutung, inwieweit aus der Unsicherheit durch die ungenügende Umsetzung der Richtlinie durch den deutschen Gesetzgeber künftig zusätzliche Haftungsrisiken für die Geschäftsleitung resultieren, vor allem im Hinblick auf die Beachtung von Gläubigerinteressen. Nach Auffassung von Kuntz ist mit der Streichung des Haftungsregimes in §§ 2, 3 StaRUG-RegE eine Haftungslücke entstanden, die über eine analoge Anwendung von § 43 StaRUG zu schließen ist (vgl. Kuntz, ZIP 2021, S. 597, 610). Alternativ soll das Harmonisierungsdefizit durch Rechtsfortbildung im Wege richtlinienkonformer Auslegung der bereits bestehenden Haftungsregime auszugleichen sein (vgl. Bitter, ZIP 2021, S. 321, 322; Gehrlein, BB 2021, S. 66, 67). Beide Ansätze bergen Friktionen, die der Gesetzgeber ausdrücklich vermieden wissen wollte. Gegen die analoge Anwendung des § 43 StaRUG spricht bereits die fehlende Planwidrigkeit. Der Gesetzgeber hat sich dagegen ausgesprochen, die Geschäftsleitung einer Haftung ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu unterwerfen. Mit einer Analogie würde man dem Willen des Gesetzgebers widersprechen.
Diese Bedenken lassen sich im Wesentlichen auch gegen eine Rechtsfortbildung einwenden, mit der sich die Gerichte in Widerspruch zu dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers setzen würden. Die vom Gesetzgeber für den Fall einer positivrechtlichen Regelung der Haftung befürchtete Rechtsunsicherheit würde nur verstärkt, wenn an die Stelle der gestrichenen Regelungen künftig richterliche Rechtsfortbildung treten soll, um Haftungsvoraussetzungen zu definieren (im Ergebnis auch Scholz, ZIP 2021, S. 219, 220).
Gegen eine verschärfte Haftung der Geschäftsleitung nach Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit und vor Anzeige der Sanierungssache ist mit dem Gesetzgeber festzuhalten, dass das StaRUG außerhalb der rechtshängigen Restrukturierungssache der Geschäftsleitung keine gesonderte Haftung auferlegen will, die über die bestehenden gesellschaftsrechtlichen Haftungsregime hinausgeht. Mit dem StaRUG will der Gesetzgeber Anreize setzen für ein frühes Handeln der Geschäftsleitung und baut ihr die vermeintlich "goldene Brücke" zur StaRUG-Sanierung. Verstreicht das Sanierungszeitfenster für ein StaRUG-Verfahren zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit und Insolvenzantragspflicht ungenutzt, bleibt (ohne weitere Sanierungsbeiträge) nur der Insolvenzantrag. Zusätzliche Sanierungsanreize durch neue Haftungstatbestände waren nicht gewollt und entsprechende Regelungen hat der Gesetzgeber verworfen. Dennoch bleibt für den Geschäftsleiter vor dem Hintergrund der unzureichenden Umsetzung der Richtlinie ein erhebliches Maß an Unsicherheit bei der Sanierung.
Durch § 1 Abs. 2 werden die in § 1 Abs. 1 beschriebenen Krisenfrüherkennungspflichten bzw. Krisenabwendungspflichten auch auf die Geschäftsleitung von Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit übertragen, für deren Verbindlichkeiten keine natürliche Person als unmittelbarer oder mittelbarer Gesellschafter persönlich haftet. Nach den Gesetzmaterialen stellen zwar für auf die Haftung der natürlichen Person als Gesellschafter ab (BT-Drs. 19/24181, S. 104). Da damit die volle persönliche Haftung gemeint ist, schließt die beschränkte und begrenzbare Haftung der Kommanditisten einer KG gem. § 171 HGB die Anwendung von § 1 Abs. 2 allerdings nicht aus (Thole, ZIP 2020, S. 1985, 1986, s. Fn. 1)
Mit dem – zusätzlichen - Verweis auf § 15a Abs. 1 S. 3, Abs. 2 InsO wurde also vornehmlich auch die GmbH & Co. KG vom Gesetzgeber adressiert (Kranzfelder/Ressmann, ZInsO 2021, S. 191; Thole, a.a.O.)
Die Vorschrift des § 1 Abs. 3 stellt klar, dass die spezialgesetzlichen Regelungen, die bereits besondere Anforderungen an die Risikoüberwachungssysteme stellen, unberührt bleiben (BT-Drs. 19/24181, S. 104). Beispielhaft erwähnt wären hier Kreditinstitute (§ 25a Abs. 1 Satz 3 KWG), Versicherungen (§ 26 VAG) oder Kapitalverwaltungsgesellschaften (§§ 28, 29 KAGB) (Brünkmans, ZInsO 2021, S. 1, 2). Gleiches gilt für besonders geregelte Pflichten, die dem Zweck der Krisenfrüherkennung dienen – wie beispielsweise die Pflicht zur Überwachung des Stammkapitals nach § 49 Abs. 3 GmbHG oder des Eintritts der Insolvenzreife gem. § 15a InsO (BT Drs. 19/24181 S. 104).