Übersicht
- A. Regelungsgegenstand, Verhältnis zu anderen Haftungstatbeständen (Rn. 1 - 3)
- B. Personaler Anwendungsbereich
- C. Erwirkung einer Stabilisierungsanordnung aufgrund unrichtiger Angaben (Satz 1 und 2) (Rn. 7)
- D. Nicht ordnungsgemäßen Auskehrung oder Verwahrung der Erlöse nach § 54 Abs. 2 (Satz 3) (Rn. 21 - 26)
- E. Verjährung (Rn. 27)
§ 57 normiert die Außenhaftung der Organe des Schuldners gegenüber einzelnen betroffenen Gläubigern für den Fall der Erwirkung einer Stabilisierungsanordnung durch unrichtige Angaben und die Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Auskehr und Verwahrung von Erlösen nach § 54 Abs. 2.
Die Haftungsanordnung des § 57 S. 1 ist notwendiges Korrelat für die einschneidenden Wirkungen der Stabilisierungsanordnung, die das Restrukturierungsgericht allein auf Grundlage einer Schlüssigkeitskontrolle der von dem Schuldner in seinem Antrag gemachten Angaben ohne vorherige Anhörung der Gläubiger erlässt . Die Haftung gemäß § 57 S. 3 knüpft an die dem Schuldner ungeachtet der Stabilisierungsanordnung belassenen Befugnisse zur Einziehung und Verwertung von (revolvierenden) Sicherungsrechten der betroffenen Gläubiger an. In Ansehung der nur summarischen Prüfung des Restrukturierungsgerichts und der Eingriffsintensität der Wirkungen der Stabilisierungsanordnung ist die Ausgestaltung als Haftung für vermutetes Verschulden der Organe (§ 57 S. 2) gerechtfertigt (für eine Begrenzung der Einstandspflicht noch zu § 64 StaRUG-E Poertzgen, ZInsO 2020, S. 2509, 2519).
In ihrem Anwendungsbereich verdrängen diese speziellen Haftungstatbestände die allgemeine Haftung der Geschäftsleiter während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache gemäß § 43 Abs. 1 S. 2. Auf diese allgemeine Haftung kann jedoch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 57 zurückgegriffen werden (Brünkmanns, ZInsO 2021, S. 1, 12). Die Haftung nach § 43 Abs. 1 S. 2 ist indes als Innenhaftung konzipiert und verschafft dem betroffenen Gläubiger keinen unmittelbaren Anspruch gegen den Geschäftsleiter. Neben §§ 43, 57 bleiben sonstige Haftungstatbestände der Organe, insbesondere aus Deliktsrecht, im Fall des § 54 Abs. 2 namentlich aus § 823 Abs. 2 iVm § 266 StGB (Braun-StaRUG/Weber/Dömmecke, § 57 Rn. 10), anwendbar. Eine Haftung des Schuldners selbst normiert das Gesetz nicht. Eine solche wird insbesondere dann virulent, wenn es sich bei dem Schuldner nicht um eine juristische Person oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit im Sinne von § 15a Abs. 1 S. 3, Abs. 2 InsO handelt. Im Anwendungsbereich des § 57 wird sich eine Haftung des Schuldners, wenn nicht schon eine vertragliche Primärpflicht besteht, regelmäßig bereits aus einer Verletzung des Vertragsverhältnisses mit dem betroffenen Gläubiger herleiten lassen, wenn der Schuldner durch unrichtige Angaben eine Vollstreckungs- und Verwertungssperre erwirkt und seinen vertraglichen Pflichten zur Beachtung der Sicherungsreche des Gläubigers nicht genügt.
§ 57 setzt voraus, dass es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person (also insbesondere um eine GmbH, eine UG, eine AG, eine KGaA, eine eG, einen Verein oder auch eine Stiftung) oder um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit iSv § 15a Abs. 1 S. 3, Abs. 2 InsO handelt. Danach sind alle Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit erfasst, bei denen keine natürliche Person, ggf. auch mittelbar, kraft Gesetzes unbeschränkt für die Schulden der Gesellschaft haftet, wie insbesondere bei einer GmbH & Co. KG. Handelt es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit mit mindestens einer natürlichen Person als (mittelbarem) „Vollhafter“ findet § 57 keine Anwendung (vgl. zur Haftung des Schuldners oben Rn. 3).
Der Haftungsanspruch aus § 57 richtet sich gegen die Organe des Schuldners, also gegen dessen bestellte Geschäftsführer oder Vorstände. Mehrere Organe haften grundsätzlich als Gesamtschuldner (vgl. zu § 64 RegE-StaRUG BT-Drs. 19/24181, S. 159).
§ 57 begründet einen Außenhaftungsanspruch. Anspruchsberechtigte sind nach dem Wortlaut der Norm die einzelnen „davon betroffenen Gläubiger“. Dies umfasst lediglich die unmittelbaren Adressaten der Stabilisierungsanordnung. Nur mittelbar von der Stabilisierungsanordnung betroffene Gläubiger können einen Schadensersatzanspruch nicht aus § 57 herleiten. Ein Erstattungsanspruch kann sich jedoch aus § 43 Abs. 1 S. 2 ergeben, der freilich als Innenhaftung der Geschäftsleiter gegenüber dem Schuldner konzipiert ist. Ein Gesamtschaden, der in einem etwaigen nachfolgenden Insolvenzverfahren gemäß § 92 InsO nur von dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann, kommt allenfalls dann in Betracht, wenn sich die Stabilisierungsanordnung gegen eine Vielzahl von Gläubigern richtet (vgl. zum Vorstehenden Brünkmanns, ZInsO 2021, S. 1, 12).
Der Haftungstatbestand gemäß § 57 S. 1 sanktioniert die Erwirkung einer Stabilisierungsanordnung aufgrund schuldhaft unrichtiger Angaben.
Angaben im Sinne der Vorschrift sind alle Informationen, die für den Erlass der Stabilisierungsanordnung durch das Restrukturierungsgericht von Bedeutung sind. In erster Linie betrifft dies die dem Antrag gemäß § 50 Abs. 2 beizufügende Restrukturierungsplanung, bestehend aus einem aktualisierten Entwurf des Restrukturierungsplans bzw. des Restrukturierungskonzepts und einem Finanzplan für die nächsten sechs Monate (vgl. im Einzelnen § 50 Rn. 22 ff.). Angaben im Sinne von § 57 sind ferner die Erklärungen, die der Schuldner gemäß § 50 Abs. 3 bei der Antragstellung abzugeben hat. Diese betreffen relevante Zahlungsrückstände (Nr. 1), in den vergangenen drei Jahren angeordnete Vollstreckungs- und Verwertungssperren nach dem StaRUG oder § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, 5 InsO (Nr. 2) und die Beachtung der handelsrechtlichen Offenlegungsverpflichtungen gemäß §§ 325 bis 328 und 339 HGB (Nr. 3) (vgl. im Einzelnen § 50 Rn. 39 ff.). Unrichtig sind die Angaben, wenn sie objektiv falsch sind.
§ 57 S. 1 gilt nicht nur für die bei Beantragung der Erstanordnung gemachten Angaben, sondern auch, für die Angaben, die der Schuldner, resp. dessen Geschäftsleiter, bei der Beantragung einer Folge- und Neuanordnung macht. Eine Haftung des Geschäftsleiters nach § 57 S. 1 kann sich ferner darauf stützen, dass dieser wesentliche Änderungen, welche die Restrukturierungsplanung betreffen, dem Restrukturierungsgericht entgegen § 32 Abs. 2 S. 2 nicht unverzüglich anzeigt und die zunächst gemachten Angaben daher nachträglich unrichtig werden (Brünkmanns, ZInsO 2021, S. 1, 12).
Unrichtige Angaben führen nur zu einer Haftung nach § 57 S. 1, wenn die Stabilisierungsanordnung aufgrund der unrichtigen Angaben erwirkt worden ist. Es muss daher ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Angaben und dem Erlass der Stabilisierungsanordnung dergestalt bestehen, dass die Stabilisierungsanordnung bei hypothetisch unterstelltem Vorliegen richtiger Angaben vom Restrukturierungsgericht nicht erlassen worden wäre (haftungsbegründende Kausalität). Dabei sind die Beurteilungsspielräume und Prognoseentscheidungen sowie das Ermessen des Restrukturierungsgerichts zu berücksichtigen, die § 51 Abs. 1 und 2 dem Gericht im Hinblick auf die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen gewähren bzw. abverlangen. Die haftungsbegründende Kausalität wird der betroffene Gläubiger in einem Schadensersatzprozess gegen die Geschäftsleiter daher grundsätzlich nur nachweisen können, wenn die Stabilisierungsanordnung, die Richtigkeit der Angaben unterstellt, offensichtlich nicht erlassen worden wäre bzw. nicht hätte erlassen werden dürfen (Brünkmanns, ZInsO 2021, S. 1, 12).
Im Hinblick auf die nach § 51 Abs. 1 S. 1 geforderte Schlüssigkeit der Restrukturierungsplanung (vgl. dazu § 51 Rn. 14 ff.) müsste der Gläubiger nachweisen, dass sich – richtige Angaben unterstellt – das Restrukturierungsziel mit den beabsichtigten Maßnahmen offensichtlich nicht hätte erreichen lassen (§ 51 Abs. 1 S. 2). Soweit unrichtige Angaben die Restrukturierungsplanung oder die Erklärungen nach § 50 Abs. 3 betreffen, ist erforderlich, dass diese wesentliche Punkte betreffen. Andernfalls könnte das Gericht eine Versagung der Stabilisierungsanordnung nicht auf § 51 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 stützen; unrichtige Angaben, die nur unwesentliche Punkte betreffen, können daher nicht kausal für den Erlass geworden sein (Braun-StaRUG/Weber/Dömmecke, § 57 Rn. 2). Im Hinblick auf die Erklärungen nach § 50 Abs. 3 ist außerdem die Bestimmung des § 51 Abs. 2 zu beachten: Auch wenn sich die von dem Schuldner nach § 50 Abs. 3 abgegebenen Erklärungen im Einzelfall grundsätzliche Bedenken gegen den Erlass der Stabilisierungsanordnung begründen, kann das Gericht diese gleichwohl erlassen, wenn zu erwarten ist, dass der Schuldner Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigergemeinschaft ausrichten wird. Auch wenn der Schuldner daher unrichtige Angaben im Rahmen von § 50 Abs. 3 gemacht hat, fehlt es an der Kausalität, wenn das Gericht die Anordnung nach § 51 Abs. 2 dennoch erlassen hätte.
Hat der Schuldner seiner Mitteilungspflicht nach § 32 Abs. 2 S. 2 nicht genügt und stellen sich die von ihm bei der Antragstellung gemachten Angaben daher nachträglich als unrichtig dar, ist die haftungsausfüllende Kausalität iSv § 57 S. 1 zu bejahen, wenn das Restrukturierungsgericht die Stabilisierungsanordnung bei Kenntnis der mitzuteilenden wesentlichen Änderungen nach § 59 aufgehoben hätte.
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen obliegt dem Gläubiger als Anspruchssteller. Ihr zu genügen, wird den Gläubiger in der Praxis nicht selten vor Schwierigkeiten stellen. Anlass zur Geltendmachung eines Haftungsanspruches nach § 57 S. 1 wird in aller Regel die Aufhebung der Stabilisierungsanordnung durch das Vollstreckungsgericht gemäß § 59 sein, die vielfach die Aufhebung der Restrukturierungssache gemäß § 33 zur Folge haben oder mit dieser einhergehen wird. Auch wenn eine Aufhebung der Stabilisierungsanordnung oder der Restrukturierungssache erfolgt, entbindet dies den Gläubiger nicht von dem Nachweis, dass die Stabilisierungsanordnung gerade aufgrund unrichtiger Angaben erwirkt worden ist. Als Erkenntnisquelle steht dem Gläubiger zunächst der Aufhebungsbeschluss des Restrukturierungsgerichts gemäß § 33 oder § 59 zur Verfügung. Als von der Stabilisierungsanordnung Betroffener steht dem Gläubiger gemäß § 38 S. 1 iVm § 299 Abs. 1 ZPO ein Recht auf Einsichtnahme in die Akte des Restrukturierungsgerichts zu (Braun-StaRUG/Baumert, § 38 Rn. 10). In der Gerichtsakte werden insbesondere die Berichte des Restrukturierungsbeauftragten, sofern ein solcher bestellt ist, Aufschluss geben können. Nach § 76 Abs. 3 hat der bestellte Restrukturierungsbeauftragte fortlaufend zu prüfen, ob die Anordnungsvoraussetzungen fortbestehen und ob ein Aufhebungsgrund vorliegt (vgl. dazu § 76 Rn. 34 ff.). Ihm steht das Recht zu, Aufhebungsgründe geltend zu machen. Weitere Erkenntnisse für die Geltendmachung des Anspruchs aus § 57 S. 1 können ferner die Ermittlungen des Insolvenzverwalters in einem nachfolgenden Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners geben. Insoweit steht dem Gläubiger ein Akteneinsichtsrecht nach § 4 InsO iVm § 299 Abs. 1 ZPO zu.
Der Geschäftsleiter haftet nach § 57 S. 1 für vorsätzlich oder fahrlässig unrichtige Angaben.
Vorsätzlich handelt ein Geschäftsleiter, der Kenntnis von der Unrichtigkeit der von ihm gemachten Angaben hat (Wissenselement) und den missbilligten Erfolg, die Erwirkung der Stabilisierungsanordnung auf unrichtiger Tatsachengrundlage, jedenfalls billigend in Kauf nimmt (Wollenselement) (vgl. allgemein MüKo-BGB/Grundmann, § 276 Rn. 153 ff.). Fahrlässig handelt der Geschäftsführer, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 2 BGB).
Nach der Gesetzesbegründung soll die Haftung ein Verschulden „auf Ebene des Schuldners und des jeweiligen Mitgliedes der Geschäftsleitung“ erfordern (vgl. zu § 64 RegE-StaRUG BT-Drs. 19/24181, S. 159; Braun-StaRUG/Weber/Dömmecke, § 57 Rn. 3 „Doppelverschulden“). Einer gesonderten Prüfung und Feststellung eines Verschuldens auch auf Ebene des Schuldners bedarf es freilich nicht. Der Schuldner handelt durch seine Organe. Deren Pflichtverletzungen und Verschulden wird dem Schuldner über die „Repräsentantenhaftung“ nach § 31 BGB analog zugerechnet (vgl. im Einzelnen MüKo-BGB/Leuschner, § 31 Rn. 3 ff., 14).
Aus der Formulierung des § 57 S. 2, der eine Haftung entfallen lässt, wenn den Geschäftsleiter kein Verschulden trifft, folgt, dass das Verschulden des Geschäftsleiters vermutet wird. Zur Haftungsvermeidung muss er sich exkulpieren. Zur Widerlegung vermuteter Fahrlässigkeit muss der Geschäftsleiter nachweisen, dass er in Bezug auf die bei Beantragung der Stabilisierungsanordnung gemachten unrichtigen Angaben die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat:
Nach § 57 S. 1 kann der betroffene Gläubiger Ersatz desjenigen Schadens verlangen, den er infolge der Stabilisierungsanordnung erleidet. Unter Anwendung der allgemeinen schadensrechtlichen Differenzhypothese gemäß § 249 Abs. 1 BGB (vgl. dazu MüKo-BGB/Oetker, § 249 Rn. 19 ff.) ist zu ermitteln, wie sich das Vermögen des Gläubigers ohne Erlass der betreffenden Stabilisierungsanordnung dargestellt hätte. Ohne die Stabilisierungsanordnung wäre der Gläubiger in der Lage gewesen, (frühzeitiger) in das Vermögen des Schuldners zu vollstrecken und die ihm gewährten Sicherungsrechte selbst oder zu einem früheren Zeitpunkt zu verwerten. Der Anspruch nach § 57 S. 1 richtet sich danach etwa auf Schäden der verzögerten Forderungsrealisierung oder des teilweisen Forderungsausfalls, wenn sich ein Insolvenzverfahren anschließt, sowie auf Beeinträchtigungen des Sicherungsgutes. Wird nachfolgend das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet, ist in den Vergleich der tatsächlichen und hypothetischen Vermögenslage des Gläubigers einzubeziehen, ob und ggf. in welchem Umfang etwaige Vollstreckungs- oder Verwertungshandlungen des Gläubigers, die an der Stabilisierungsanordnung zunächst gescheitert sind, der Insolvenzanfechtung unterlegen hätten (Braun-StaRUG/Weber/Dömmecke, § 57 Rn. 6).
Darlegungs- und beweispflichtig für den Eintritt eines Schadens und den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Stabilisierungsanordnung aufgrund unrichtiger Angaben und dem Schadenseintritt (haftungsausfüllende Kausalität) ist der Gläubiger. Die exakte Berechnung des durch die Anordnung erlittenen Schadens kann sich wegen der Berücksichtigung hypothetischer Geschehensabläufe im Rahmen der Sanierung des Schuldners nach StaRUG durchaus schwierig gestalten (allgemein auch Thole, ZIP 2020, S. 1984, 1996).
Gemäß § 57 S. 3 haften die Organe des Schuldners für den Schaden, der einem Gläubiger aus einer nicht ordnungsgemäßen Auskehrung oder Verwahrung der Erlöse nach § 54 Abs. 2 entsteht.
Nach § 54 Abs. 2 ist der Schuldner im Rahmen der vertraglichen Vereinbarung, mithin bei fortbestehender Ermächtigung zum Forderungseinzug oder zur Weiterverarbeitung und -veräußerung, ungeachtet der Stabilisierungsanordnung berechtigt, sicherungszedierte Forderungen einzuziehen und bewegliche Sachen, an denen im Fall der Insolvenzeröffnung Aus- oder Absonderungsrechte bestehen, zu verarbeiten oder zu veräußern. Er hat jedoch die dabei erzielten Erlöse gemäß § 54 Abs. 2 an den Berechtigten auszukehren oder unterscheidbar zu verwahren, wenn er mit dem Gläubiger keine abweichende Vereinbarung trifft. Die Bestimmung betrifft die in der Praxis üblichen Vertragsklauseln über die Weiterveräußerung und -verarbeitung von unter verlängertem Eigentumsvorbehalt gelieferten Waren, die stets mit einer Vorausabtretung der aus der Weiterveräußerung erzielten Forderungen und einer Einzugsermächtigung des Schuldners kombiniert ist. Auch Raumsicherungsverträge sehen regelmäßig entsprechende Klauseln vor.
Wegen der Bezugnahme auf „Erlöse nach § 54 Abs. 2“ haften die Organe nach § 57 S. 3 nur im Anwendungsbereich von § 54 Abs. 2. Sie haften daher nur für Erlöse, die aufgrund vertraglicher Vereinbarung eingezogen oder durch die vertragsgemäße Verwertung vereinnahmt worden sind. In zeitlicher Hinsicht erfasst § 54 Abs. 2 den Zeitraum ab Erlass der Stabilisierungsanordnung. In diesen Fällen trifft den Schuldner die Separierungspflicht nach § 54 Abs. 2. Die Haftung des § 57 S. 3 erstreckt sich in der jetzigen Konzeption daher etwa nicht auf Verwertungserlöse, die der Schuldner vor Erlass der Stabilisierungsanordnung erzielt hat, und wohl auch nicht auf Erlöse, die vertragswidrig, also nach Erlöschen der vertraglich vereinbarten Einziehungs- und Weiterverarbeitungs- und -veräußerungsermächtigung, erzielt worden sind. Ebenso wenig adressiert § 57 S. 3 etwa eine Veräußerung von Sicherungsgut unter Wert. Außerhalb des Anwendungsbereichs von § 54 Abs. 2 verbleibt die allgemeine Haftung der Organe nach § 43 Abs. 1 S. 2, die freilich „nur“ als Innenhaftung konzipiert ist. Bei vertragswidrigem Einzug von Forderungen oder Weiterveräußerung von Absonderungsgut, und erst recht Aussonderungsgut, das regelmäßig ohnehin nicht von einer entsprechenden Ermächtigung erfasst ist, kommen deliktische Haftungsansprüche gegen die Organe aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266 StGB in Betracht. Es ist zu erwägen, dem betroffenen Gläubiger – auch schon de lege lata im Wege eines Erst-Recht-Schlusses – einen Außenhaftungsanspruch nach § 57 S. 3 zu gewähren, wenn die Geschäftsleitung ohne bzw. nach Beendigung entsprechender vertraglicher Ermächtigungen Forderungen einzieht oder Absonderungsware verarbeitet und veräußert.
Nach § 54 Abs. 2 sind die Erlöse aus eingezogenen sicherungszedierten Forderungen und aus weiterveräußertem Sicherungsgut an den berechtigten Gläubiger auszukehren oder zu separieren. Kehrt der Schuldner nicht (sofort) an den Gläubiger aus, sind die Erlöse unverzüglich und dergestalt zu separieren, dass der Auskehranspruch des Gläubigers nicht beeinträchtigt wird. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf eine etwaige nachfolgende Insolvenz des Schuldners. Die Erlöse sind so zu separieren, dass die dingliche Berechtigung des Gläubigers auch in einem Insolvenzverfahren gewahrt ist. Erforderlich ist zu diesem Zweck die Einrichtung eines als solches offen ausgewiesenen Treuhandkontos, auf dem ausschließlich und von dem übrigen Vermögen des Schuldners jederzeit unterscheidbar Erlöse zugunsten der betroffenen Gläubiger verwahrt werden (Braun-StaRUG/Riggert, § 54 Rn. 7; Knauth, NZI 2021, S. 158, 161).
Werden die Erlöse nicht ausgekehrt oder ordnungsgemäß verwahrt, haften die Geschäftsführer nach § 57 S. 3 auf Schadensersatz. Den Nachweis des Vorliegens der objektiven Voraussetzungen des Haftungsanspruchs wird der Gläubiger regelmäßig führen können, wenn er sich von dem Schuldner fortlaufend über den Bestand der sicherungsabgetretenen Forderungen informieren lassen hat. Es genügt dann, wenn der Gläubiger darlegt, dass der Schuldner die betreffenden Forderungen eingezogen hat und dass die Erlöse nicht ausgekehrt worden sind. Gemäß § 57 S. 2 und 3 haften die Geschäftsleiter für vermutetes Verschulden. Da nach §§ 54 Abs. 2, 57 S. 3 ein Erfolg geschuldet ist, wird ihnen bei Unmöglichkeit vollständiger Auskehr eine Exkulpation regelmäßig nicht gelingen. Der Ersatzanspruch richtet sich auf die Erstattung der nicht ausgekehrten bzw. nicht auskehrbaren Erlöse.
Dem Geschäftsführer ist anzuraten, nach Möglichkeit eine Verwertungsvereinbarung mit dem betroffenen Gläubiger zu schließen (vgl. § 54 Abs. 2 am Ende), die die Modalitäten des Einzugs und der Verwendung der Erlöse nach § 54 Abs. 2 regelt, um einer Haftung nach § 57 S. 3 vorzubeugen (Knauth, NZI 2021, S. 158, 161). Ob sich ein Gläubiger, der von der Stabilisierungsanordnung betroffen ist, hierauf einlassen wird, mag mitunter zweifelhaft sein. Ein betroffener Gläubiger sollte sich fortlaufend über den Bestand der sicherungsabgetretenen Forderungen und auch den Bestand des Sicherungsgutes informieren lassen, um ggf. die Voraussetzungen nach § 57 S. 3 darlegen zu können. Ferner sollte er von dem Schuldner umgehend nach Erlass der Stabilisierungsanordnung die Auskehr der realisierten Erlöse oder jedenfalls den Nachweis über deren ordnungsgemäße Verwahrung verlangen. Kommt der Schuldner dem nicht nach, sollten die vertraglichen Ermächtigungen im Hinblick auf das Sicherungsgut widerrufen und ggf. die Aufhebung der Stabilisierungsanordnung gemäß § 59 Abs. 2 beantragt werden.
Die Haftungsansprüche nach § 57 verjähren gemäß § 57 S. 4, der auf § 43 Abs. 3 verweist, innerhalb von fünf Jahren. Ist der Schuldner zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung eine börsennotierte Gesellschaft, verjähren die Ansprüche in zehn Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt dabei kenntnisunabhängig mit der Anspruchsentstehung, d.h. mit der jeweiligen Pflichtverletzung, zu laufen (vgl. Braun-StaRUG/Weber/Dömmecke, § 57 Rn. 8). Sie endet entsprechend unterjährig. Im Fall des § 57 S. 1 beginnt die Verjährungsfrist mit dem Erlass der Stabilisierungsanordnung auf Basis unrichtiger Angaben. Im Fall des § 57 S. 3 ist die Vereinnahmung der sicherungszedierten Forderung maßgeblich. In dem Zeitpunkt, in dem der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Tatbeständen Kenntnis erlangt, ist daher regelmäßig bereits ein Teil der Verjährungsfrist verstrichen.