Kommentierung zu § 4

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§ 4 schränkt die grundsätzlich nach § 2 gestaltbaren Rechtsverhältnisse durch eine Auflistung von Ausnahmen ein. Von praktischer Bedeutung ist insbesondere der Ausschluss für Ansprüche aus Arbeitsverhältnissen. Der Ausschluss steht im Einklang mit der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzgebers, dass durch die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens keine Änderungen an der Rechtsposition der Arbeitnehmer eintreten sollen (BT-Drs. 19/24181, S. 110).

Außerdem werden Forderungen aus deliktischen Handlungen sowie Geldstrafen und ähnlichen Sanktionen von der Gestaltung ausgeklammert. Im Insolvenzverfahren sind diese Verbindlichkeiten nach § 302 Nr. 1 und Nr. 2 InsO von der Restschuldbefreiung ausgenommen. Durch die Unantastbarkeit dieser Forderungen soll verhindert werden, dass die Steuerungswirkung der deliktischen Haftung und der Sanktionen verloren geht (BT-Drs. 19/24181, S. 115; zur Restschuldbefreiung: Uhlenbruck/Sternal, § 302 Rn. 2).

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Satz 2 reduziert die Reichweite des Plans einer natürlichen Person auf solche Rechtsverhältnisse, die im Zusammenhang mit der unternehmerischen Tätigkeit des Schuldners stehen. Denn das Restrukturierungsverfahren zielt auf die (finanzwirtschaftliche) Sanierung von Unternehmen, nicht auf die Bereinigung der Überschuldung nicht unternehmerisch tätiger natürlicher Personen (BT-Drs. 19/24181, S. 115). Den richtigen Rahmen für die Entschuldung von Privatpersonen bietet vielmehr das Insolvenzverfahren.

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Die in § 4 genannten Forderungen können nach § 49 Abs. 2 S. 1 nicht Gegenstand einer Stabilisierungsanordnung sein. Ein Verstoß gegen § 4 stellt einen Mangel im Sinne des § 63 Abs. 1 Nr. 2 dar, wonach das Gericht die Bestätigung des Insolvenzplans zu versagen hat (vgl. auch Braun-StaRUG/Esser, § 4 Rn. 3).

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Den Ausgangspunkt für den Ausschluss der Arbeitnehmerforderungen von der Gestaltbarkeit findet sich in Artikel 1 Absatz 5 Buchstabe a) der EU-Richtlinie 2019/1023, wobei die Richtlinie die Entscheidung für oder gegen die Gestaltbarkeit den Mitgliedstaaten zur Wahl stellt. Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, die Arbeitnehmerforderungen von der Gestaltung auszunehmen, beruht auf dem Motiv, den laufenden Betrieb vorrangig zu schützen (BT-Drs. 19/24181, S. 114). Indem Eingriffe in die Arbeitnehmerrechte durch das Restrukturierungsverfahren ausgeschlossen werden, wird Unruhe im Betrieb vermieden. Dies wiederum trägt erheblich zur Stabilität einer Unternehmensfortführung bei. Darüber hinaus geht der Gesetzgeber zu Recht davon aus, dass ein Unternehmen, das die Forderungen seiner Arbeitnehmer nicht mehr begleichen kann, schon derart weit in die Krise abgeglitten ist, dass sich seine Probleme nicht mehr mit den Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens überwinden lassen (BT-Drs. 19/24181, S. 114; siehe auch Gehrlein, BB 2021, S. 66, 68).

Kein Wahlrecht für den nationalen Gesetzgeber bestand hingegen bei Forderungen aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgungen. Sie müssen nach Artikel 1 Absatz 6 der EU-Richtlinie 2019/1023 zwingend von einer Gestaltung durch den Plan abgeschirmt werden.

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Im Einklang mit der Entscheidung, die Arbeitnehmerrechte aus dem Verfahren auszuklammern, bildet das Restrukturierungsverfahren kein Insolvenzereignis im Sinne des § 165 Abs. 1 SGB III. Es entsteht mithin kein Anspruch auf Insolvenzgeld. Das Unternehmen muss also vor dem und im Restrukturierungsverfahren sämtliche Arbeitnehmerentgelte bei Fälligkeit bezahlen. Dem Schuldner ist es freilich nicht per se versagt, im Zuge des Restrukturierungsvorhabens auch personalwirtschaftliche Restrukturierungsmaßnahmen vorzunehmen (BT-Drs. 19/24181, S. 115). Diese unterliegen jedoch den allgemeinen kollektiv- und individualarbeitsrechtlichen Regelungen; das StaRUG bietet für die Implementierung solcher Maßnahmen keinerlei Erleichterungen (BT-Drs. 19/24181, S. 115).

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Mangels einer näheren Definition im StaRUG oder der Richtlinie ist für die Definition des Arbeitsverhältnisses auf § 611a Abs. 1 S. 1 BGB zurückzugreifen (Braun-StaRUG/Esser, § 4 Rn. 5). Ein Arbeitsvertrag liegt danach vor, wenn sich jemand, nämlich der Arbeitnehmer, im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet.

Ob auch die Ansprüche von Geschäftsführern von dem Ausschluss erfasst sind, ist unklar. Im Einklang mit den allgemeinen Regeln (vgl. etwa MAH ArbR/Reiserer, § 6 Rn. 81) sprechen die besseren Gründe dafür, den Geschäftsführer in diesem Zusammenhang im Grundsatz nicht als Arbeitnehmer zu werten (so auch Braun-StaRUG/Esser, § 4 Rn. 5). Bei Fremdgeschäftsführern, die selbst nicht am schuldnerischen Unternehmen beteiligt sind, könnte sich insbesondere aufgrund der EuGH-Rechtsprechung (siehe dazu MAH-ArbR/Reiserer, § 6 Rn. 91 ff.) jedoch eine Einbeziehung in den Arbeitnehmerbegriff ergeben. Im Kontext des StaRUG wird maßgeblich darauf abzustellen sein, inwieweit der betroffene Geschäftsführer eigenständigen Einfluss auf das Restrukturierungsvorhaben hat und ob er, z.B. durch Boni oder Tantiemen, am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens – und insbesondere an den wirtschaftlichen Effekten der Sanierung – partizipiert.

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Die Formulierung, dass von dem Ausschluss sämtliche Forderungen erfasst sind, die „im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis“ stehen, legt eine weite Auslegung nahe (vgl. auch Braun-StaRUG/Esser, § 4 Rn. 6). Erfasst sind damit sämtliche Bestandteile des Entgelts, aber auch Sekundäransprüche. Nicht unter die Norm fallen hingegen Anteilsrechte der Mitarbeiter am Unternehmen oder die sich daraus ergebenden Ansprüche auf Dividenden (Braun-StaRUG/Esser,§ 4 Rn. 6).

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§ 4 Nr. 2 schließt die Gestaltung von Forderungen aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung aus. Die Regelung beruht auf Artikel 1 Absatz 5 Buchstabe c) der EU-Richtlinie 2019/1023, der den Mitgliedstaaten diesen Ausschluss freistellt. Genau wie 302 Nr. 1 InsO soll der Ausschluss verhindern, dass die Steuerungswirkung der Haftung für vorsätzliches Handeln eingeschränkt wird, weil sich der Schuldner dieser Belastungen im Restrukturierungsverfahren entledigen kann (BT-Drs. 19/24181, S. 115). Auffällig ist, dass ein solch grundlegender Ausschluss der Gestaltbarkeit für den Insolvenzplan nicht geregelt ist.

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Ein weiterer Unterschied zum Insolvenzrecht besteht bei Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis, in deren Zusammenhang der Schuldner wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 oder § 374 der Abgabenordnung rechtskräftig verurteilt worden ist. Während § 302 Nr. 1 InsO diese Ansprüche von der Restschuldbefreiung ausnimmt, enthält das StaRUG keinen entsprechenden Ausschluss für die Gestaltbarkeit. Dies beruht auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, der anderenfalls eine Unvereinbarkeit mit den Vorgaben von Artikel 1 Absatz 5 der EU-Richtlinie 2019/1023 befürchtete (BT-Drs. 19/24181, S. 115). Die Gesetzesbegründung verweist auf den Wertungsunterschied zu Schadensersatzforderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen ebenso wie zu Geldstrafen; der Steueranspruch entstehe selbst – anders als eine Schadensersatzforderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung oder eine Geldstrafe – unabhängig von der deliktischen oder strafbaren Hand­lung (BT-Drs. 19/24181, S. 115).

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Für die Qualifizierung als Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen genügt bedingter Vorsatz, während Ansprüche aufgrund grob fahrlässigen Handelns oder aus Gefährdungshaftung nicht erfasst sind (Braun-StaRUG/Esser, StaRUG, § 4 Rn. 9; zu § 302 InsO: K. Schmidt/Henning, § 302 Rn. 4; Uhlenbruck/Sternal, § 302 Rn. 6).

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Nach § 4 Nr. 3 sind Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO einer Gestaltung durch einen Restrukturierungsplan nicht zugänglich. Erfasst sind über diesen Verweis Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgelder und Zwangsgelder sowie solche Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldzahlung verpflichten. Die Regelung findet ihr Pendant im Insolvenzplanrecht in § 225 Abs. 3 InsO.

Der Ausschluss geht, wie S. 1 Nr. 2, zurück auf Artikel 1 Absatz 5 Buchstabe c) der EU-Richtlinie 2019/1023, der den Mitgliedstaaten eine Ausschlussmöglichkeit für Forderungen aus einer deliktischen Haftung des Schuldners gibt. Laut Gesetzesbegründung folgt die Zulässigkeit dieses Ausschlusstatbestands aus einem Erst-Recht-Schluss (BT-Drs. 19/24181, S. 115), der allerdings nicht näher erläutert wird. Gemeint ist wohl, dass Geldstrafen und weitere Sanktionen noch stärker als die deliktische Haftung auf dem Gedanken der Handlungssteuerung beruhen, der nicht durch eine Gestaltbarkeit im Restrukturierungsplan unterlaufen werden soll.

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Von der Gestaltung ausgenommen sind die nach dem Wortlaut der Norm aufgeführten Sanktionszahlungen sowie alle anderen Forderungen mit Sanktionscharakter. Geldstrafen und Geldbußen aus einem Steuerstraf- oder Steuerordnungswidrigkeitenverfahren sind ebenfalls erfasst (vgl. Uhlenbruck/Hirte, § 39 Rn. 27). Bei den von der Gestaltung ausgenommenen strafrechtlichen Nebenfolgen sind die verschiedenen Arten der Einziehung und des Verfalls gem. §§ 73 ff. StGB, §§ 22, 25, 29a OWiG, §§ 375, 410 AO und die Abführung des Mehrerlöses nach § 8 WiStG hervorzuheben (vgl. BeckOK-InsO/Prosteder/Dachner, § 39 Rn. 29).

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§ 4 S. 2 schließt Forderungen und Absonderungsanwartschaften von der Gestaltbarkeit durch den Restrukturierungsplan aus, wenn der Schuldner eine natürliche Person ist und diese Rechtsverhältnisse mit seiner unternehmerischen Tätigkeit in keinem Zusammenhang stehen.

Nach § 30 Abs. 1 S. 2 können natürliche Personen die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nur in Anspruch nehmen, soweit sie unternehmerisch tätig sind. Dem Zweck des Gesetzes entsprechend - der Sanierung von Unternehmen - muss die unternehmerische Tätigkeit dabei im Zeitpunkt des Planangebots noch bestehen und voraussichtlich während des weiteren Restrukturierungsverfahrens fortführbar sein (siehe auch Braun-StaRUG/Esser, § 4 Rn. 11). Die Begrenzung der gestaltbaren Rechtsverhältnisse auf diesen unternehmerischen Bereich bei natürlichen Personen in § 4 S. 2 trägt dieser Einschränkung Rechnung und ist insoweit deklaratorischer Natur. Der Ausschluss natürlicher Personen, die keine Unternehmer sind, geht auf Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe h der EU-Richtlinie 2019/1023 zurück. Konsequenterweise beschränkt der nationale Gesetzgeber in solchen Mischfällen die Wirkungen des Restrukturierungsvorhabens auf den unternehmerischen Bereich (BT-Drs. 19/24181, S. 115).

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Bei der Abgrenzung, ob das betreffende Rechtsverhältnis dem privaten oder dem unternehmerischen Bereich zuzuordnen ist, muss eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen werden. Aufgrund der negativen Formulierung der Norm ist der Ausschlusstatbestand eng gefasst. Es genügt ein irgendwie gearteter Zusammenhang mit der unternehmerischen Tätigkeit, um eine Gestaltbarkeit im Restrukturierungsplan zu erlauben. Zu berücksichtigen ist dennoch die übergeordnete Intention des Gesetzgebers, den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nicht als Alternative für die Entschuldung von Privatpersonen auszugestalten.